Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

Il. Kapitel: Unterricht unter dem Einfluß der staatlichen Verfügungen. 321 
Lehrplan gebührt, macht er in seinen chemischen Briefen wiederholt auf 
den allgemeinen Bildungswert seiner Wissenschaft aufmerksam: ‚Keine 
unter allen Wissenschaften bietet dem Menschen eine größere Fülle von 
Gegenständen des Denkens, der Überlegung und von frischer sich stets 
erneuernder Erkenntnis dar als wie die Chemie; keine ist mehr geeignet, 
das Talent der Beobachtung in der Entdeckung von Ähnlichkeiten und 
Verschiedenheiten in den Erscheinungen in gleicher Weise zu wecken und 
die Gesetze des Denkens in ihren strengen Methoden der Beweisführung 
für die Wahrheit einer Erklärung oder in der Aufsuchung der Ursachen 
und Wirkungen einer Erscheinung gleich anschaulich und geläufig zu 
machen.‘“ Allein ungeachtet der Unterstützung eines Al. v. Humboldt ist 
es Liebig nicht gelungen, die geringschätzige Meinung der zumeist aus 
klassischen Philologen bestehenden Schulbehörden, selbst eines Wiese, 
zu besiegen: vom Gymnasium ist die Chemie ausgeschlossen geblieben. 
Dafür hat aber Liebig das große Verdienst, an den Realanstalten die 
praktischen Übungen im chemischen Laboratorum eingeführt und damit 
den Chemieunterricht auf die Basis gestellt zu haben, auf die der Physik- 
unterricht erst fast ein halbes Jahrhundert später gestellt worden ist. 
An der Universität Marburg richtet Liebig 1831 die ersten praktischen 
chemischen Übungen für Studierende ein und wird dadurch vorbildlich 
für alle übrigen Universitäten und die technischen Hochschulen. Allein 
er befürwortet sofort auch die Einführung ähnlicher Übungen in den 
Unterricht der höheren Schulen, und so sehen wir diese hier früher ein- 
geführt als an manchen Universitäten. Schon 1847 finden wir in Düssel- 
dorf praktische Schülerübungen auf dem Lehrplan angesetzt. Wieses 
Lehrpläne 1859 gestatten allen Realanstalten die Einführung der Übungen, 
und wenn sie auch von jener Zeit an stets wahlfrei geblieben sind, SO gibt 
es doch schließlich kaum ein Realgymnasium oder eine Oberrealschule, 
an der die Beteiligung an diesen Übungen nicht äußerst lebhaft ge- 
worden wären. 
Was die tatsächliche Gestaltung des chemischen Unterrichts betrifft, 
so geht dieser anfangs rein systematisch vor, bis namentlich durch Wil- 
brandt und Arendt der systematische Unterrichtsbetrieb heftig angegriffen 
wird, weil er den Schüler zur Gedankenlosigkeit verurteile und sein Inter- 
esse schnell erlahmen lasse. Es entstehen eine ganze Anzahl tüchtiger 
methodischer Lehrbücher; der Streit dauert in den letzten Dezennien 
des Jahrhunderts noch fort und trägt viel zur Klärung der Anschauungen 
und zur Verbesserung der Unterrichtsmethode bei. Beiden Richtungen 
wird in den neuesten Lehrplänen ihr Recht, indem für den propädeutischen 
Anfangskursus ein methodischer Lehrgang vorgeschrieben wird, dagegen 
für die Oberstufen ein systematischer Unterrichtsgang. Zu allen Zeiten 
steht aber das Experiment im Mittelpunkt des Unterrichts; entsprechend 
Pahl, Geschichte des math. und naturw. Unterrichts. 21
	        
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