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Il. Abschnitt: Altertum und Mittelalter,
Mennige und des Zinnobers; Braunrot gab der Eisenocker, Braunschwarz
der Braunstein; Blau erhielt man aus Kupfervitriol, Smalte, Grün aus Grün-
span, Gelb durch Auripigment. ‚Die bisherigen aus Plinius und Vitruv
geschöpften kurzen Angaben über die chemischen Kenntnisse der Alten
lassen es fast als wunderbar erscheinen, daß sie über die ersten Anfänge
einer technischen Chemie nicht hinausgekommen sind. Allein, daß sie nicht
weiter gelangten, lag namentlich daran, daß ihnen die wichtigen anorgani-
schen Säuren unbekannt blieben. Die einzige Säure, die sie kannten, war
eine organische, die Essigsäure. Wohl beobachteten sie das Aufbrausen
der mit Essigsäure übergossenen Kreide oder anderer kohlensaurer Kalke,
doch lag ihnen der Gedanke, daß sie es hier mit einer besonderen Luftart
zu tun hatten, noch ganz fern.
Unwillkürlich drängt sich bei solcher Umgrenzung des mathematisch-
naturwissenschaftlichen Wissensgebietes der Alten die Tatsache auf, daß
ihre Fortschritte in den‘ Naturwissenschaften verhältnismäßig gering-
fügig gegen ihre mathematischen Leistungen sind. Man hat hierin eine
Vernachlässigung der Naturwissenschaften erblickt, und es hat nicht an
Stimmen gefehlt, die ihnen aus solcher Vernachlässigung einen schweren
Vorwurf gemacht haben. Ja E. du Bois-Reymond sieht den Untergang
der antiken Kulturwelt direkt als die notwendige Folge dieser sträflichen
Vernachlässigung an.1°) Allein demgegenüber muß betont werden, daß
die Alten nicht minder eifrig gewesen sind, in die Naturerkenntnis ein-
zudringen, als mathematische Wahrheiten zu erforschen; daß eine Vviel-
tausendjährige Kulturarbeit der Chaldäer und der Ägypter den Griechen
für die Mathematik genügend sichere allgemeine Grundlagen geliefert
hatte, auf denen sie ein festgefügtes wissenschaftliches Gebäude aufrichten
konnten, daß dagegen in den beschreibenden und erklärenden Natur-
wissenschaften das zu durchforschende Tatsachenmaterial viel zu um-
fangreich, die Erscheinungen viel zu verwickelt waren, um schon zu grund-
legenden allgemeinen Induktionen zu gelangen, und daß hier das klassische
Altertum erst die Arbeit leisten mußte, die auf mathematischem Ge-
biet von den Kulturvölkern vor ihnen schon geleistet war. Das Interesse
für die uns umgebende Erscheinungswelt war im Altertum ebenso lebendig
wie heute, wenn nicht noch lebendiger, wir müssen oft sogar staunen über
die Beobachtungsgabe der Alten und die Genauigkeit dessen, was sie mit
unbewaffneten Sinnen beobachteten. Allein all das Einzelwissen reichte
nicht aus, um daraus sichere allgemeine Sätze herzuleiten, die gewonnenen
Induktionen waren durchaus ungenügend, um von ihnen ausgehend zu
einer Erklärung der Naturerscheinungen zu gelangen, und so wird es be-
greiflich, daß wir im klassischen Altertum so vielen irrigen Anschauungen
begegnen und alle damals unternommenen Erklärungsversuche der Er-
scheinungswelt scheiterten.