II. Kapitel: Unterricht im Altertum.
11. Kapitel.
Der mathematisch-naturwissenschaftliche Unterricht im Altertum.
In summo apud illos honore geometria fuit, itaque nihil mathematicis illustrius;
at nos metiendi ratiocinandique utilitate huius artis terminavimus modum.
Cicero (Tuse. I 2, 5).
Unser heutiges Unterrichtswesen hat sich unabhängig von dem der
alten Griechen und Römer entwickelt, ist nicht nach einem aus dem klas-
sischen Altertum genommenen Vorbilde gestaltet worden. Gleichwohl ist
es nötig, hier einen kurzen Blick auf den Unterricht, den die jungen Griechen
und Römer erhielten, zu werfen und zu untersuchen, inwieweit die Mathe-
matik und die Naturwissenschaften schon im Altertum bei der Ausbildung
der Jugend berücksichtigt wurden. Wir haben dort den musischen Unterricht,
den die Knaben vor dem vollendeten 16. Jahre erhielten, zu unterscheiden
von dem enzyklopädischen Unterricht, durch den die Epheben vom 16. bis
20. Jahre ihre Ausbildung erfuhren. In beiden finden wir von einem natur-
wissenschaftlichen Unterrichte im ganzen Altertum keine Spur. Der
Elementarunterricht der griechischen Knaben bezog sich auf die yoduuarta,
d. h. Lesen, Schreiben, Rechnen und die Musik. Der enzyklopädische
Unterricht in der Ephebenzeit umfaßte 1. Grammatik, 2. Rhetorik, 3. Philo-
sophie oder Dialektik, 4. Arithmetik, 5. Musik, 6. Geometrie, 7. Astro-
nomie. Rechnen, Arithmetik und Geometrie sind also wesentliche Unter-
richtsgegenstände schon bei der griechischen Jugend. Der Name Arith-
metik, der den Römern schon ganz geläufig war, bedeutete im Altertum
die theoretische Betrachtung der Zahlen, während das praktische Rechnen,
die Rechenkunst, Logistik oder Logismos hieß. Der erste, der ausdrücklich
die Arithmetik als einen Bestandteil des musischen, d. h. Elementarunter-
richts erwähnt, ist Lukianos. Sokrates will sie nur, insoweit sie nützlich
ist, betrieben wissen. Platon hält die Arithmetik für wichtig, um einen
schläfrigen, ungelehrigen Geist aufzuwecken und scharfsinnig zu machen.
Ohne Arithmetik ist nach ihm keine wahre Weisheit, die allein glücklich
und gut mache, möglich. Aber auch Platon betont den Nutzen der prak-
tischen Arithmetik, d.h. des Rechnens, für die Kriegswissenschaften und
für die Führung einer geregelten Verwaltung. Während die Geometrie
anfangs im elementaren Knabenunterricht fehlt, bildet sie nachweislich
schon im 5. Jahrhundert v.Chr. einen Unterrichtsgegenstand für grie-
chische Knaben, der nach dem peloponnesischen Kriege ganz allgemein als
Bestandteil des musischen Unterrichts gefunden wird. Platon fordert sie
als direkt notwendig wegen ihrer Vorzüge für die Schärfung des Geistes,
betont auch ihre Bedeutung in ethischer Hinsicht. Bis zum 16. Jahr sei
sie spielend zu betreiben, im Ephebenalter jedoch eingehender. Nach der
Geometrie erst dürfe der Unterricht in der Astronomie beginnen. Auch
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