Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

36 
I. Abschnitt: Altertum und Mittelalter, 
Aristoteles verlangt den Unterricht in der Mathematik als das beste Mittel, 
um den Verstand als solchen zu ermitteln und hebt ihre hohe Bedeutung 
für die formale Bildung des Geistes hervor. Ebenso betont Euklid, wie sehr 
der Geist durch die Mathematik im Denken geübt werde. 
Solchen gewichtigen Stimmen gegenüber erheben sich jedoch auch die 
Meinungen anderer Philosophen, die sie, wie z. B. Aristippos, verwerfen, 
weil in ihr kein Beweis geführt werde, daß etwas gut oder schlecht sei; sie 
nehme keine Rücksicht auf gut oder böse, daher sei sie belanglos für die 
Erwerbung von. Weisheit und Lebensklugheit. 
Bei den Römern, deren Sinn mehr auf das Praktische und Nützliche 
gerichtet war, erfreute sich die Mathematik keiner hohen Wertschätzung; 
das Maß dieser Kunst war bei ihnen nach Ciceros Ausspruch durch den 
Nutzen des Rechnens oder Ausmessens begrenzt. Quintilian, dessen in- 
stitutiones oratoriae eine ziemlich ausführliche interessante mathematische 
Stelle aufweisen, weist zwar nach, daß sie auch für den Redner von großem 
Nutzen sei, allein sie äußert diesen Nutzen nur während des Lernens; 
nicht wenn sie erlernt ist. Bei den römischen Knaben begann der Unter- 
richt nach beendeter infantia mit dem achten Lebensjahre. Wie bei den 
Griechen der Grammatistes, so lehrte hier der Ludimagister Lesen, Schrei- 
ben und Rechnen. Mit letzterem wurde im zweiten Halbjahr begonnen. 
Da Zahlen durch Buchstaben dargestellt wurden, so war diese Reihenfolge 
durch die Natur der Sache geboten. Als Mittel der Zahlenvorstellung. waren 
im Altertum vier gebräuchlich: 1. Festsetzung bestimmter Beugungen 
und Stellungen der Finger, 2. Anwendung von Recheninstrumenten; 
3. Gebrauch zusammenfassender Zeichen, 4. Verwendung von Buchstaben 
als Zeichen. Das Fingerrechnen war bei den Griechen wie bei den Römern 
in Übung. Mit den Fingern der linken Hand wurden alle Einer und Zehner, 
mit denen der rechten Hand alle Hunderter und Tausender dargestellt, so 
daß mit beiden Händen gleichzeitig alle Zahlen von 1 bis 9999 bezeichnet 
werden konnten. Das Legen der linken Hand auf Brust, Hüfte, linke Seite 
bedeutete die Zehntausender, dasselbe mit der rechten Hand die Hundert- 
tausender; Falten der Hände galt eine Million. Auch benutzte man die ge- 
nannten Fingerstellungen, um beim Kopfrechnen die Zwischenresultate 
so lange als nötig zu behalten. Als Recheninstrument diente den Griechen 
wie den Römern das Rechenbrett, Abax oder Abacus; eine Platte mit 
7 langen und 7 kurzen Geleisen (Kolumnen). In den langen befinden sich 
4 Knöpfe, in den kurzen, die senkrecht über diesen in ihrer Verlängerung 
liegen, nur je einer. Diese Knöpfe oder Steinchen hießen bei den Griechen 
wor, bei den Römern calculi, daher heißt Rechnen calculos ducere. 
Der eine Knopf in dem kurzen Gleise gilt so viel als fünf Einheiten in dem 
zugehörigen langen Gleise. Diese letzteren sind mit Kopfzahlen versehen; 
deren Werte mit 1 anfangen und in geometrischer Reihe, nach 10, 100 usw.,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.