Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

III. Kapitel: Mittelalter. 
41 
und alten Kirchenvätern aber galten sogar die Tugenden der Heiden 
vielfach als Laster, jedenfalls waren sie abhold aller weltlichen Wissen 
schaft. In den Schriften des Tertullian, Augustinus, Eusebius zeigt sich 
eine solche Abneigung gegen alle wissenschaftliche Erkenntnis, gegen 
alle weltliche Gelehrsamkeit, daß sie eine Vernichtung derselben für ein 
gottwohlgefälliges Werk halten. So erwirkte der Patriarch Pelagios vom 
Kaiser Theodosius die Erlaubnis, das Serapeion in Alexandria zu zerstören 
und fanatisierte den Pöbel der Stadt, daß er diese Zerstörungstat Voll- 
brachte, wobei der größte Teil der Bücherschätze der alexandrinischen 
Bibliothek ein Raub der Flammen — ein unersetzbarer Verlust für die 
Wissenschaft — und die hochgebildete, edle Hypatia das schuldlose Opfer 
der Volkswut wurde. 
Woher diese kulturfeindliche Tendenz des Christentums, diese dem 
Evangelium der Liebe geradezu widersprechenden, unerklärlichen Aus- 
brüche grimmigen Hasses? 
Zur Beantwortung dieser Frage sei zunächst darauf hingewiesen, daß 
die gesamte Kultur des Altertums, seine bewunderungswürdigen Prunk- 
bauten und Kunstschöpfungen wie auch seine wissenschaftlichen Leistungen 
nur dadurch möglich wurden, daß die große Masse derer, die die zur Er- 
haltung des täglichen Lebens notwendige Arbeit leisten mußten, unter 
einem unmenschlichen, mit eiserner, grausamer Härte aufrecht erhaltenen 
Joche schmachtete. Nach Millionen zählende Sklavenheere frohndeten 
täglich unter der Peitsche des Aufsehers, damit kaum ebensoviele Tausende 
der herrschenden und gebildeten Klassen ihr durch Kunst und Wissen- 
schaft verfeinertes Leben in Glanz und Üppigkeit führen konnten. Das 
Los der Galeerensklaven, noch mehr das der in den Bergwerken Arbeitenden 
war ein so entsetzliches, daß selbst der harte, gegen den Anblick mensch- 
licher Leiden abgestumpfte Sinn römischer Schriftsteller Anwandlungen 
von Mitleid empfindet.!®*) Solche Zustände erschienen den Alten wie eine 
Naturnotwendigkeit, ohne die ein Staatswesen undenkbar, deren Änderung 
daher ganz unmöglich schien. Da brachte das Christentum den von einem 
menschenwürdigen Dasein Ausgestoßenen die ersten Strahlen der Hoff- 
nung und des Trostes. Um so inniger und leidenschaftlicher klammerte 
sich der leidende Teil der Menschheit an diese neue Lehre, je mehr die 
römischen Staatslenker ihre die Fundamente der staatlichen Ordnung 
untergrabende Tendenz erkannten und sie durch blutige Verfolgungen zu 
unterdrücken suchten. So ward das Christentum die Religion derjenigen 
Menschenklasse, die für Kunst und Wissenschaft kein Verständnis hatte, 
denen die schönsten Kunstschöpfungen ebenso wie die wissenschaftlichen 
Lehren ihrer Zeit als die zu stürzenden und zu vernichtenden Götzen der 
sie knechtenden Gesellschaftsklasse erscheinen mußten. Die Bevölkerungs- 
schicht, welche als die eigentliche Trägerin der Bildung des Altertums galt,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.