Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

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I. Abschnitt: Altertum und Mittelalter. 
war dank der die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung knechtenden 
und entrechtenden Staatsordnung eine so dünne, daß die von unten her 
kommende Aufwühlung und Umwälzung sie vollständig zerreißen und 
fast spurlos aufreiben konnte. 
&s lohnt sich jedoch, den Untergang der antiken Kulturwelt auch vom 
naturwissenschaftlichen Standpunkt zu beleuchten. Eine Gesellschafts- 
ordnung, die in dem Maße, wie es im Altertum der Fall war, die unmensch- 
liche Sklaverei zu ihrer eigentlichen Grundlage hatte, war unsittlich und 
daher unhaltbar, weil sie dem allgemeinsten Naturgesetz, dem Prinzip von 
der Erhaltung der Energie, zuwiderhandelte, dessen Gültigkeit sich nicht 
nur innerhalb der Erscheinungswelt der Physik und Chemie, sondern auch 
innerhalb des menschlichen Lebens, dem Leben des einzelnen wie der 
menschlichen Gesellschaft, fühlbar macht. Jeder einzelne Mensch bedarf 
zur Erhaltung seines physischen Daseins eines gewissen Minimums von 
Energie, ohne die er sein Leben nicht fristen kann. Wird die Arbeits- 
kraft einer überwiegenden Mehrheit von der herrschenden Minderheit 
so sehr in Anspruch genommen, daß dem einzelnen nicht einmal dies zur 
Fristung seines Lebens notwendige Minimum mehr übrig bleibt, so führt 
eine solche Wirtschaftsweise zur Vernichtung der sie befolgenden Gesell- 
schaftsordnung. Die Sklavenaufstände des Altertums, die Bauernkriege 
am Ausgang des Mittelalters, die Revolutionen der Neuzeit sind als die 
Reaktionen gegen eine solche Mißwirtschaft aufzufassen. Das Prinzip 
von der Erhaltung der Energie ist also auch das regulierende Prinzip des 
Wirtschaftslebens der Völker, es ist gleichsam das Pendel, das mit ge- 
waltigem, ehernen Schlage dröhnend und mahnend den geschichtlichen 
Gang der Weltuhr reguliert. 
Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, stellt sich der Untergang 
des römischen Weltreichs als eine der schwersten wirtschaftlichen Krisen 
dar, die die Menschheit jemals durchgemacht hat, in der sich die jahr- 
tausendelange Nichtachtung des allgemeinsten aller Naturgesetze mit 
unerbittlicher Folgerichtigkeit durch die Vernichtung nicht nur der antiken 
Gesellschaftsordnung, nicht nur des materiellen Wohlstandes, sondern, 
was viel schwerwiegender war, auch des wissenschaftlichen Eigentums der 
abendländischen Welt rächte. Wie schwer die Wunde war, die durch 
diese Krisis der Wissenschaft geschlagen wurde, läßt sich nicht besser 
als durch die Tatsache ausdrücken, daß der Fortschritt der Wissenschaft 
auf ein volles Jahrtausend gehemmt wurde. 
Den Germanen wie dem Christentum blieb die Reue Kains über die 
Hinmordung des Bruders Abel nicht erspart. Lebhaft bedauerte Karl der 
Große, daß ihm bei seinen Versuchen, den Kulturzustand in seinem Reiche 
zu heben, die Pflege der Wissenschaften wieder zu beleben, nicht eine größere 
Zahl solcher Männer wie Alkuin zur Seite standen. Den christlichen Klöstern
	        
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