Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

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I. Abschnitt: Altertum und „Mittelalter. 
mancherlei Aberglauben befangene Zeitgeist, noch die Fesseln, in welche 
die Scholastik das Denken einschnürte, noch die Kirche, die des Aristoteles 
Lehren sanktionierte und der darum jede Abweichung von ihnen als 
ketzerische Irrlehre verdächtig war, vermögen den Fortschritt wissen- 
schaftlicher Erkenntnis zu hemmen, und so ergießt sich im 15. Jahrhundert 
das Wiederaufleben der Wissenschaften wie ein befruchtender Strom 
über alle Länder Europas. 
Schon Roger Baco hatte die Pflege der Sprachwissenschaft als die un- 
entbehrliche Grundlage alles Wissens überhaupt bezeichnet, und, selbst 
ein gründlicher Kenner der griechischen Sprache, bitter über die schlech- 
ten lateinischen Übersetzungen des Aristoteles geklagt, die oft ganz un- 
verständlich seien, was ja auch erklärlich ist, wenn man bedenkt, daß 
erst nach arabischen Übertragungen jene lateinischen Übersetzungen 
angefertigt waren. Jener Forderung Bacos entsprechend war das Haupt- 
streben der das wissenschaftliche Leben des 15. ‚Jahrhunderts beherrschen- 
den Geistesrichtung, deren Ziel die Bekämpfung der Scholastık war und 
für die sich kein treffenderer Name als „Humanismus‘ finden 1äßt, auf 
die Verbreitung gründlicher Kenntnis der alten Sprachen, namentlich 
des Griechischen gerichtet. Allein diese Kenntnis war den Trägern jener 
Geistesrichtung nicht Selbstzweck, sie diente ihnen nicht nur zum Ein- 
dringen in die Kenntnis der schönen Literatur und der philosophischen 
Schriften des klassischen Altertums, sondern zur Hebung der gesamten 
Wissensschätze der Alten, auch der mathematischen und. naturwissen- 
schaftlichen. Daher rührt der den Humanisten jener Zeit eigentümliche, 
alle Wissensgebiete umfassende universalistische Zug, der die Reife des 
Abendlandes, das geistige Erbe der Alten anzutreten, auch dadurch be- 
zeugt, daß man die Lehren der Alten mit kritischem Auge zu prüfen und 
ihre Weltanschauung zu zerstören beginnt, um einer neuen, richtigeren 
den Boden zu bereiten. So „zerstörte Nicolaus v. Cusa (1401—1473) 
die Kristallsphären der Griechen, verkündete die Wesensgleichheit der 
Erde mit anderen Weltkörpern, lehrte die Bewegung der Erde und ent- 
warf als erster unter den Neueren eine Landkarte in tichtigem geometrischen 
Netz.2%‘“) Derselbe Kardinal, ein Freund des Paolo Toscanelli, durch den 
Kolumbus von der Durchführbarkeit seines Planes, Asien durch eine 
Seefahrt nach Westen zu erreichen, überzeugt wurde, beschäftigte sich 
auch mit mechanischen Problemen, schlug die Herstellung eines Bathometers 
vor, um die Tiefe der Gewässer zu messen, suchte durch eine eigenartige 
Methode auf mechanischem Wege x zu bestimmen, ?) wollte durch Wägung 
feststellen, ob die Pflanzen ihre Nahrung aus der Luft oder aus dem Boden 
bekommen, forderte überhaupt das messende Verfahren bei allen Unter- 
suchungen. So erneuerte der große Cusaner, ebenso wie Lionardo da Vinci 
(1452—1519) und der Spanier Ludwig Vives (1492—1540) die Forderung
	        
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