Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

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I. Abschnitt: Altertum und Mittelalter. 
im 15. Jahrhundert dadurch bemerkbar, daß sie in diesem Zeitraum sich 
als ein selbständiges Nominalfach von den übrigen Vorlesungen der Ar- 
tistenfakultät loslöst. Den Anfang hierin machte die Universität Bologna 
in Italien. Freilich ordnete schon 1378 in Frankreich der König Karl V. an, 
daß in Paris zwei Lehrer der Mathematik angestellt werden sollten, allein 
diese Anordnung scheint nicht befolgt worden zu sein. Dagegen finden wir 
schon 1383 in Bologna einen eigenen Lehrer der Arithmetik, der nur über 
dieses‘Fach zu lesen hat, während sonst bei der Verteilung der Vorlesungen 
jeder bald grammatische, bald philosophische oder auch mathematische 
Vorlesungen übernehmen mußte. Um 1400 hatte Bologna schon 2 Pro- 
fessoren der Mathematik, von denen der eine lediglich über Astronomie, 
der andere über Arithmetik und Geometrie zu lesen hatte. Dem Beispiele 
Bolognas folgte Prag, wo um 1450 ebenfalls eine rein mathematische 
Professur eingerichtet wurde. In Wien las Johann von Gmunden von 1420 
an nur noch mathematische Kollegien, doch war dies noch keine offzielle 
Einrichtung der Universität; sein Nachfolger Peurbach mußte wieder neben 
mathematischen auch sprachliche Vorlesungen übernehmen. Erst unter 
Maximilian wurden an der Wiener Universität zwei Lehrstühle der Mathe- 
matik und der Astronomie errichtet. Diese Entwicklung der Mathematik 
zu einem selbständigen Lehrfach der Artistenfakultät setzt sich bis ins 
16. Jahrhundert hinein fort. Darum sei hier vorgreifend bemerkt, daß in 
Deutschland die ‚„altkonservativen‘ Universitäten Heidelberg, Erfurt, 
Leipzig sich nur langsam und widerwillig dieser Neuerung anbequemten, 
daß aber in Tübingen 1510 Johann Stoeffler, der Lehrer Melanch- 
thons, in Ingolstadt, das schon 1498 sich eines eigenen Astronomus rühmen 
konnte, 1524 Peter Apianus, der erste Ordinarius der Mathematik und der 
Astronomie wurde, daß in Wittenberg zuerst Volmar den Lehrstuhl der 
Mathematik innehatte, und auf Betreiben Melanchthons 1532 eine Zwei- 
teilung dieser Disziplin stattfand: die mathematica inferior — Arithmetik 
und Geometrie wurden das Vortragsgebiet des Rheticus (1514—1576), die 
mathematica superior — die Astronomie — hatte Erasmus Reinhold vor- 
zutragen. 
So hatte sich zu Beginn der Reformationszeit aus den Disziplinen des 
mittelalterlichen Quadriviums der Artistenfakultät die Mathematik zu 
einem selbständigen Lehrfach herausgearbeitet, das entsprechend der 
wachsenden Bedeutung der mathematischen Wissenschaften eine geachtete 
Stellung innerhalb des Unterrichtes an den Universitäten, der in jener 
Zeit den Unterricht an den jetzigen höheren Schulen vertritt, einnimmt. 
Wer sich über den damaligen Umfang des mathematischen und natur- 
wissenschaftlichen Schulwissens unterrichten will, ohne für die einzelnen 
Teile die gebräuchlichen, vorher besprochenen Kompendien alle zur Hand 
zu nehmen, der sei auf die Margaritha philosophica des Gregor Reysh (1503)
	        
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