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II. Abschnitt: Das sechzehnte Jahrhundert.
Schriften griechischer Dichter, Historiker, Mathematiker und Philo-
sophen wurden in den Kreis der Vorlesungen hineingezogen. Hatten
Peurbach und Regiomontan noch nach Italien gehen müssen, um Griechisch
zu lernen, so gab es 50 Jahre später in Deutschland keine Universität
mehr, an der man nicht auch die Kenntnis der Sprache Homers sich hätte
aneignen können.
Zwar vollzog sich an keiner Universität diese Neugestaltung ohne
Kampf; allein dieser spielte sich lediglich zwischen den jungen Humanisten
und den der alten Vortragsweise anhängenden Dozenten ab, Papst und
Kirche griffen in diesen Kampf nicht ein. Sie hatten noch nicht erkannt,
daß die wahre Tendenz der humanistischen Bewegung sich gegen die Herr-
schaft der Kirche richtete, oder doch die Größe der Gefahr, die in dieser
Bewegung lag, unterschätzt. Daß aber tatsächlich der humanistische Zeit-
geist mit der „Säkularisierung ‚der Wissenschaft‘ einen Eingriff in die
Machtsphäre des Papstes tat, beweist die Gründung der Universität
Wittenberg im Jahre 1502. Hatte sonst der Papst die Errichtungsbullen
für Universitäten erteilt, so wurde hier die Errichtungsurkunde vom
Kaiser Maximilian ausgestellt und der Papst erst nachträglich um die Be-
stätigung der neugegründeten Pflegestätte der Wissenschaft ersucht.
Auch bei der Gründung der Universität Frankfurt a. O. im Jahre 1506
durch Joachim I. von Brandenburg folgte das päpstliche Privileg dem
kaiserlichen.
In der Reformation kam die revolutionäre Tendenz des Humanismus
mit voller Deutlichkeit und elementarer, welterschütternder Kraft zum
Durchbruch. Hatten der Papst und die kirchlichen Würdenträger der
Säkularisierung der Wissenschaft mit dem vollen Sicherheitsgefühl der
beati possidentes in gelassener Ruhe zugesehen, so wurden sie jetzt aus
dieser aufgeschreckt und sahen sich in einen die Macht, ja die ganze Exi-
stenz der Kirche bedrohenden Kampf verwickelt. Hatten Erasmus und
Melanchthon das Ziel verfolgt, das weltliche Wissen, die Philosophie durch
das Zurückgehen auf die echten Schriften des Altertums zu reformieren, so
tat Luther den zweiten, folgenschwereren Schritt, auch in der Theologie
eine Reformation dadurch herbeizuführen, daß er auf die reine Quelle des
religiösen Glaubens zurückging und die Bibel als solche hinstellte. Der
Gedanke, die Autorität des Papstes und der Kirche anzutasten, lag ihm,
wie allen Trägern des Humanismus, ursprünglich völlig fern. Allein die
unerbittliche Folgerichtigkeit der Tatsachen trieb ihn Schritt für Schritt
weiter. Sein Auftreten fand in dem sozialen Elend breiter Volksschichten
in ganz Europa einen ungeahnten Widerhall. Ihre wichtigsten Lebens-
interessen wurden aufgewühlt, die wirtschaftlichen Interessen der herr-
schenden Stände in Mitleidenschaft gezogen. So ward aus dem anfangs als
Mönchsgezänk leichthin aufgefaßten lutherschen Streit ein nicht mehr zu