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Allgemeiner Teil.
einüben konnte. Selbst wenn nun die zum Aufbau der Apparate aus-
gewählten Kolben, Schläuche und Röhren in der Zeit zwischen Vorbereitung
und Unterricht nicht zerbrochen und verwechselt wurden, kann der Versuch
in der Stunde noch vollkommen versagen: Der Kolben springt beim Er-
wärmen, der Schlauch erweist sich als undicht, die in der Zwischenzeit
nachbezogenen Reagentien besitzen einen anderen Reinheitsgrad oder
andere physikalische Beschaffenheit usw., also eine Reihe von plötzlichen
Schwierigkeiten. Ein Versagen des Versuchs bedeutet, wie in jedem ex-
perimentellen Unterricht, eine arge Bloßstellung des Lehrers. Hier hilft
also nur die Geistesgegenwart, welche sich aber auch nur auf eine große
experimentelle Erfahrung in ähnlichen Fällen stützen kann. Der Lehrer
muß in der Lage sein, bei unerwartetem Fehlschlagen einen Versuch mit
einfachsten Mitteln zu improvisieren, auch wenn er ursprünglich ein kunst-
voll aufgebautes Experiment vorgesehen hatte. Gelingt ihm das, so wider-
legt er das bereits entstehende ungünstige Urteil der Schüler glänzend,
ja er kann sich ganz besonderes Ansehen durch seine Schlagfertigkeit er-
werben. Aus alledem ergibt sich die Notwendigkeit für den jungen Chemie-
lehrer, durch unermüdliches Arbeiten im Laboratorium sich einen Grund-
stock von praktischen Erfahrungen zu sammeln, ohne welchen er niemals
ein tüchtiger Lehrer werden kann. Am meisten fördernd ist dabei die
anregende Anleitung eines älteren Kollegen, der auf die zahlreichen kleinen
Kunstgriffe der Praxis aufmerksam macht. Einen allmählichen Ersatz
dafür bietet das eifrige Studium von Fachzeitschriften, welche sich mit der
experimentellen Behandlung chemischen Arbeitsstoffes beschäftigen. Nur
ausnahmsweise dagegen werden Kurse unter Leitung von Universitäts-
dozenten imstande sein, dem Bedürfnis der Schule auch auf dem Gebiete
der Schultechnik zu genügen. Anders natürlich die wissenschaft-
liche Weiterbildung. Die wissenschaftlichen Fortschritte der Chemie
sind leider in so zahlreichen und umfangreichen Abhandlungen nieder-
gelegt, daß ihr Studium für den Lehrer beinahe zur Unmöglichkeit wird.
Auch der eifrige Fachchemiker wird schon zufrieden sein müssen, wenn
er den Sammelreferaten einer guten Zeitschrift zu folgen vermag und im
übrigen Gelegenheit bekommt, an referierenden Vorträgen in Ferienkursen
teilzunehmen,
Wenden wir uns nach diesen allgemeinen Erörterungen der Ausbildung
der künftigen Chemielehrer zu. Wir betreten damit sofort ein Gebiet, auf
welchem die Ansichten durchaus noch nicht geklärt sind. Während z. B.
die Unterrichtsverwaltungen daran festhalten, daß im Interesse der all-
gemeinen Verwendbarkeit das System der „Klassenlehrer‘“ demjenigen
der „Fachlehrer‘“ vorzuziehen sei, kommen gerade die hervorragendsten
Vertreter der Schule, wie B. Schwalbe,*) zum entgegengesetzten Er-
gebnis.