Full text: Methodik des chemischen Unterrichts (4. Band)

Einleitung. 
treten unerwünschter „Nebenerscheinungen‘“ verhinderte. Ergebnisse 
physikalischer und chemischer Versuche sind darum lediglich die weniger 
getrübten Äußerungen von Naturgesetzen, nicht aber die einzigen Äuße- 
rungen dieser Gesetze überhaupt. Je nach der Art der Versuchsanordnung 
Jäßt sich durch den Versuch mehr eine chemische oder mehr eine physi- 
kalische Tatsache einwandsfrei ermitteln. 
Gleich der Physik geht also auch die Chemie bei allen ihren Unter- 
suchungen nur von der sinnlichen Beobachtung aus. Auf dieser 
baut sie das theoretische Lehrgebäude nach streng mathematischen Ge- 
setzen auf. Wie der Mathematiker durch Interpolation richtig entwickelter 
Reihen die noch fehlenden Zwischenglieder errechnen kann, so vermag der 
Chemiker das Vorhandensein und die Eigenschaften zuvor noch nie ge- 
sehener Natur- und Kunstprodukte im voraus zu bestimmen. Durch 
passend gewählte Vorrichtungen und geeignete Versuchsbedingungen ge- 
lingt es ihm dann, das gewünschte Produkt herzustellen. Solche errech- 
neten, erst theoretisch, dann praktisch konstruierten chemischen Substanzen 
sind das Arbeits- und Erwerbsmaterial der chemischen Großindustrie. Das 
Geheimnis, warum gerade die deutsche chemische Industrie derjenigen 
aller übrigen Länder der Erde so außerordentlich überlegen ist, beruht 
z. B. nur auf diesem streng systematischen Zusammenarbeiten von theo- 
retischer und praktischer Forschung. Interpolationen auf dem Gebiete 
der Chemie in mathematischem Sinne sind erwünscht und notwendig. 
Extrapolationen über die Grenze unseres exakten Wissens hinaus führen 
in das Gebiet der philosophischen Spekulation. Sie sind für die chemische 
Wissenschaft als solche ein ebenso berechtigtes Forschungsmittel nach 
den letzten Endzielen aller Dinge wie für jede andere Wissenschaft auch. 
Von der Physik, der älteren Schwesterwissenschaft, unterscheidet sich 
die Chemie weniger durch die Auswahl der Materialien als durch die Rich- 
tung und Methode des Forschens. Ein Stück Eisen ist für den Physiker 
ein Körper, welcher durch Härte, Zähigkeit, Gewicht, Schmelzpunkt, durch 
eigenartiges Verhalten gegen Magnetismus und elektrische Kräfte gekenn- 
zeichnet ist. Der Chemiker dagegen untersucht die Veränderungen, welche 
die Substanz des Eisens erleidet, wenn sie mit Luft oder anderen Agentien 
zusammenkommt. Er prüft die Eigenschaften der entstehenden Verbin- 
dungen sowohl, wie auch diejenigen des Eisens selber, welches in diesen 
Verbindungen enthalten ist, um daraus theoretisch wertvolle Schlüsse zu 
ziehen. Er untersucht die Umwandlungen aus einer dieser Verbindungen 
in beliebige andere, er sucht diese Umwandlungsprodukte wieder zurück 
zu verwandeln in die einfacheren Ausgangsmaterialien und prüft, ob die 
Physik, ob Technik, Arzneimittellehre oder irgendein anderer Zweig der 
„angewandten Chemie‘ Gebrauch machen kann von den neu entdeckten 
Beziehungen, von den neuen Verbindungen und Legierungen, oder ob viel-
	        
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