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Allgemeiner Teil.
Mit Obersekunda tritt an den Realanstalten schon äußerlich eine auf-
fallende Änderung im ganzen Schulleben ein. Diejenigen Schüler, welche
das langersehnte, in den Augen des Publikums so wertvolle Zeugnis erreicht
haben, verschwinden, und so leeren sich die Bänke mancher Klasse bis
auf ein Drittel des früheren Bestandes, Die wenigen Zurückbleibenden,
leider durchaus nicht immer die Begabtesten, unterwerfen sich den er-
höhten Anforderungen, welche eine freiere wissenschaftliche Behandlung
der Naturwissenschaften bedingt. Hier findet der eigentliche Ausgleich
statt, welcher das Trennende zwischen Physik und Chemie mehr und mehr
verschwinden läßt. Die früher gewonnenen Gesetzmäßigkeiten, welche bis
dahin einzeln nebeneinander hergingen, erweisen sich jetzt als die Stücke
eines großen Ganzen, gehören zusammen wie die Glieder zum Rumpf, wie
die Fäden zum Tuch.
Ein solcher Fortschritt ist aber trotzdem leider nur möglich durch
Trennung des naturwissenschaftlichen Unterrichts in Einzelfächer, welche
nebeneinander gehen und dem gleichen Ziel zustreben. Praktische Gründe
jassen die Vereinigung beider Fächer in einer Hand nur ausnahmsweise
durchführen. Der Lehrer, welcher den Unterricht in Oberklassen erteilt,
soll wirklich auf der Höhe der Wissenschaft stehen, wenn er nicht zum
Sklaven seines Lehrbuches und zur komischen Figur in den Augen aller be-
zabten Schüler herabsinken will. Man muß von ihm verlangen, daß er sich
durch eigenes Arbeiten und durch das Studium der Fachliteratur un-
unterbrochen weiterbildet. Bei der so hochgradig fortgeschrittenen Differen-
zierung aller Wissenszweige ist dies aber nur möglich und denkbar durch
Spezialisieren. Wer gleichzeitig Chemie und Physik in Oberklassen geben
soll, wo möglich noch verknüpft mit Biologie, dem bleibt keine Zeit für
eigenes Arbeiten mehr übrig, selbst wenn er wollte.) Die gegenseitige
wissenschaftliche und dienstliche Anregung, welche sich die Fachlehrer der
Einzelzweige zu geben vermögen, wenn sie nebeneinander in der gleichen
Klasse unterrichten, wiegt hier den Nutzen des vereinigten Unterrichts bei
weitem auf. Das Verlangen nach einer grundsätzlichen Trennung der Chemie
ınd Physik in den Oberklassen soll aber nicht bis zu dem Standpunkt ver-
teidigt werden, daß der Physiklehrer keine Chemie unterrichten darf, wie
es z. B. in Bayern verordnungsmäßig festgelegt ist. Schon aus äußeren
Gründen wird sich dieses Verbot mutmaßlich nicht überall und nicht immer
streng durchführen lassen.
Aufgabe des Unterrichtes ist auch hier, den Schülern eine geeignete
Auswahl an chemischen Tatsachen darzubieten, welche die Beobachtungs-
gabe fördern und das logische Denken ausbilden. Mehr als im Anfangs-
unterricht muß sich der Lehrer bewußt bleiben, daß er nicht eine Generation
von jungen Zukunftschemikern vor sich hat. Ihm kommt lediglich zu, neben
dem Physiker den exakt-naturwissenschaftlichen Teil des Gesamtunterrichts