Formales Ziel..
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unserer vorwiegend fremdsprachlich gerichteten höheren Schulen führen.
Verworns Klage, „daß die Schulbildung der Gymnasialabiturienten ganz
überwiegend eine scholastische, philologische Bücherbildung ist“, wird jeder
Erdkundelehrer seufzend unterschreiben. Und wie leicht könnte es anders
sein! Nicht an den Schülern liegt der Mißerfolg; denn unsere Jüngsten sind
mit Feuereifer bei den kleinen Entdeckungsreisen in die Natur; sie beobachten
nicht schlecht und urteilen nicht unkritisch. Erst die Schule entwöhnt sie
durch ihren Mitteilungsunterricht, durch den Aufenthalt in der Schul-
stube und die ausgiebige Beschäftigung mit Bücherlesen von der lebendigen
Fühlung mit der Natur. „Der Schule der Jetzzeit ist etwas gelungen, das nach
den Naturgesetzen unmöglich sein soll: die Vernichtung eines einmal vorhanden
gewesenen Stoffes. Der Kenntnisdrang, die Selbsttätigkeit und die Beob-
achtungsgabe, die die Kinder dorthin mitbringen, sind nach Schluß der Schul-
zeit in der Regel verschwunden, ohne sich in Kenntnisse oder Interessen um-
gesetzt zu haben.‘ So urteilt Ellen Key. Die Freude am Beobachten soll
auch dann eine Haupttriebfeder im erdkundlichen Unterricht sein, wenn der
Freiluftunterricht versagen muß, wenn es gilt, Bilder fremder Länder und
Völker, fremde Kulturerzeugnisse vorzuführen. Nächst den Naturwissen-
schaften verwendet kein Schulfach so viel Anschauungsmittel wie die Erd-
kunde.
Die einzelnen Erinnerungsbilder, die der Beobachtungsunterricht liefert,
bilden den Rohstoff für alle weiteren Denkarbeiten. Nach drei Richtungen
soll das erdkundliche Denken besonders weiter bauen: Erstens zwingt es zum
Herausarbeiten des Begrifflichen, des Typischen — alles Karten-
lesen ist jenem Abstrahieren gewidmet. Damit bietet die Erdkunde eine wich-
tige Ergänzung zur Naturlehre, die vom Einzelnen zum Gesetz aufzusteigen
pflegt. Die zweite Besonderheit liegt in dem phantasiemäßigen Um-
bilden der Anschauungen, wie es die Schilderung verlangt, eine Darbietungs-
form, die in keinem Unterrichtsfache so gepflegt wird, wie in der Erdkunde,
Und das dritte ist die vielfache kausale Verknüpfung der Gedanken-
ketten, die, weit über das enge Unterrichtsgebiet hinausgreifend, den Vor-
stellungsinhalt des Schülers in wirksamster Weise um- und
neuordnet. Lampe spricht mit Recht geradezu von einem Kausalhunger
unserer Kinder, der sich äußert in dem ewigen Fragen: Weshalb? Wozu?
Auch das ist eine traurige Errungenschaft des landläufigen, katechesierenden
Unterrichts, daß er diese lebendige Quelle des Interesses verstopft und die
Jugend zum duldenden Hinnehmen verurteilt, anstatt sie zu lebendiger
Wechselrede, zum Selbstfragen zu reizen. Der Erdkundeunterricht ist be-
rufen, dem Kausalitätsbedürfnis mehr Rechnung zu tragen als irgendein
anderes Schulfach.
Zu dem verstandesmäßigen Aufnehmen, Umbilden und Umordnen einer
konkreten Vorstellungswelt gehört als Gegenstück das Reproduzieren, das
Wagner, Methodik des erdkundlichen Unterrichts, I. 7