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Wesen der Schilderung,
nun vor das geistige Auge seiner Schüler bannen möchte, etwa so, wie der
Schüler ein Wandbild nach der Besprechung frei aus dem Gedächtnis be-
schreibt. Und doch wie unendlich viel schwerer ist jetzt die Synthese! Zu-
nächst hält der Lehrer nicht starr seinen Standpunkt fest; er wandert weiter,
kombiniert mehrere Ansichten — und verlangt, daß der jugendliche Geist
ihm folge. Und dabei analysiert er fortwährend, nimmt aus seinem Seelen-
inhalte einen einzelnen Baustein und setzt ihn vor das innere Auge seiner
Hörer. Und dort sollen sich die Bausteine zu genau dem gleichen Gebäude
zusammensetzen ? Es gibt „Schnellmaler“, die aus kurzen, kräftigen Strichen
in absichtlich unnatürlich gewählter Reihenfolge ein Bild aufbauen, dessen
Inhalt dem staunenden Zuschauer erst im letzten Augenblicke blitzartig klar
wird, Der Schilderer kann leicht den Zuhörer in eine ähnliche Ungewißheit
bringen, wenn er die einzelnen Pinselstriche seines Gemäldes in falscher Reihen
folge anbringt — nur daß dann das letzte „blitzartige‘ Erfassen wegfällt, weil
der Geist die zusammenhanglosen Einzelzüge nicht auf hinreichend lange Zeit
im Gedächtnis halten kann. Und dann war die ganze Arbeit umsonst. Der
Zuhörer muß vielmehr vom ersten Satze der Schilderung an zu „malen“ be-
ginnen, und zwar so, daß er nachträglich möglichst wenig „radieren‘‘ und
„korrigieren‘“ muß. Das ist nur möglich, wenn er mit großen Linien das Ge-
mälde anlegt und nach und nach Strich für Strich einsetzt, so daß er in jedem
Augenblicke ein geschlossenes Ganzes vor sich sieht, nur mit sich steigernder
Deutlichkeit, mit wachsendem Reichtum bis zum letzten Farbenton der all-
gemeinen Stimmung. In diesem allmählichen Aufbau, in dem
gleichzeitigen Ablauf einer Analyse beim Lehrer, einer Syn-
these beim Schüler, liegt die ungeheure didaktische und künst-
lerische Schwierigkeit der Schilderung. Ihre volle Erkenntnis ist der
erste Schritt für den Lehrer, um gut schildern zu lernen!
Und dann eine zweite Schwierigkeit: Die Phantasie schafft nichts
von Grund auf Neues; sie bildet und gruppiert um, was ihr an klaren An-
schauungen zur Verfügung steht. Je reicher der Vorrat, um so größer die Kom-
binationsmöglichkeit. Wer viel gereist ist, viele gute Bilder betrachtet hat,
wird ohne grobe Fehler sich eine fremde Landschaft nach einer guten Schilde-
rung ausmalen können. Anders das Kind, dessen Horizont noch nicht über die
engere Heimat hinausreicht. So steigern sich die didaktischen Schwierigkeiten
der Schilderung im umgekehrten Verhältnis zum Schulalter. Nun ist aber
nicht etwa ein einzelner Schüler, dessen Erfahrungen wir einigermaßen über-
schauen können, unser Zuhörer, sondern eine ganze Klasse, und wir dürfen
nur mit dem Apperzeptionsmaterial rechnen, das allen Schülern gleichmäßig
zu Gebote steht, also vorwiegend mit dem, was die Schule selbst erarbeitet hat.
Wie lernt der junge Geographielehrer die Kunst, richtig und
gut zu Schildern?
Zunächst muß er selbst sehen lernen. Nur wer sich viele Vorstellungen