Full text: Allgemeiner Teil (6. Band, 1. Teil)

Wesen der Erdkunde. 
Mit scharfen Worten geißelte Ritter zunächst die Hauptfehler des bis- 
herigen Geographiebetriebes: 1. die völlige Kritiklosigkeit gegenüber 
den Quellen, 2. die subjektivistische Tendenz, die alle Wissenschaft nur nach 
dem augenblicklichen, persönlichen Nutzen einschätzt, 3. das zusammen- 
hanglose Nebeneinander von Einzeltatsachen. 
„Die gewissenhafteste Anzeige der benutzten Quellen in einem Zweige der 
historischen Wissenschaften, die noch fast aller Kritik ermangelt, ist — — un- 
erläßliche Pflicht.‘ „Vergleichen wir den dermaligen Zuschnitt der Kompen- 
diengeographie mit anderen so sehr fortgeschrittenen Wissenschaften, so er- 
kennen wir leicht, daß sie zwar ein Wissen, aber keine Wissenschaft, höchstens 
eine Polyhistorie genannt zu werden verdient. Sie ist nur ein bloßes Aggre- 
gat, ein nach Materien geordnetes Register.“ Und endlich: „Um diejenige 
Wissenschaft sieht es schlimm aus, welche erst eines Reizes der Übertragung 
oder der Nutzanwendung aus anderen Wissenschaften bedarf.‘ Diese Sätze 
kennzeichnen Ritters Standpunkt gegenüber seinen Vorgängern. 
Und nun baut er seine eigenen Ansichten auf. Für ihn ist die Geographie 
eine historische oder Erfahrungswissenschaft, und zwar deren beschrei- 
bende Unterabteilung gegenüber der erzählenden Geschichte. Ihre metho- 
dische Aufgabe ist es, von Einzelfall zu Einzelfall beobachtend oder kritisch 
die Quellen sichtend zu schreiten und erst allmählich zum Allgemeinen auf- 
zusteigen; es ist die „reduzierende, objektive Methode, die den Haupt- 
typus der Bildungen der Natur hervorzuheben und dadurch ein natürliches 
System zu begründen sucht, indem sie den Verhältnissen nachspürt, die im 
Wesen der Natur selbst gegründet sind‘. „Die geographischen Wissen- 
schaften haben es vorzugsweise mit den Räumen der Erdoberfläche zu 
tun, insofern diese irdisch erfüllt sind, also mit den Beschreibungen und Ver- 
hältnissen des Nebeneinander der Örtlichkeiten“ — oder noch kürzer: 
„Die Geographie ist die Wissenschaft der irdisch erfüllten 
Raumverhältnisse.‘“ Sie hat deswegen zu betrachten 1. die Räume, 
2, die Frfüllung, 3. die Relationen zwischen beiden. Ritter nennt die Geogra- 
phie physikalisch, „weil in ihr von Naturkräften die Rede ist, sofern sie im 
Raume wirken und bestimmte Formen bedingen und Veränderungen hervor- 
bringen‘, Die geologische Betrachtungsweise liegt ihm dabei noch fern; sie: 
weist er einer Physik oder Archäologie der Erde zu, während die Geographie 
nur „das gegenwärtige Verhältnis der Gestaltung auf der Erdoberfläche‘ zu 
untersuchen hat. „Allgemein“ bezeichnet er ferner die Erdbeschreibung, 
„Nicht weil sie alles zu geben bemühet ist, sondern weil sie ohne Rücksicht 
auf einen speziellen Zweck jeden Teil der Erde und jede ihrer Formen — — 
mit gleicher Aufmerksamkeit zu erforschen bemühet ist“. „Vergleichend“ 
ist sie „in demselben Sinne, in welchem andere so belehrende Disziplinen aus- 
gearbeitet worden sind, wie vor allem z, B. die vergleichende Anatomie“. Die 
drei zuletzt genannten Schlagwörter, unter denen die Rittersche Geographie
	        
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