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Das Zeichnen als erdkundliche Lehrform.
C, Das Zeichnen als erdkundliche Lehrform,
In obigen Abschnitten sind einige Schlagworte der allgemeinen Unterrichts-
lehre unter dem besonderen Gesichtswinkel des erdkundlichen Unterrichts
betrachtet worden. Die dabei benutzte systematische Einteilung erschöpft
aber das Thema der „Lehrformen’” oder „Darbietungsformen‘“ nicht ganz.
Es ist nötig, noch auf eine Form näher einzugehen, die der erdkundliche Unter-
richt mit dem naturkundlichen gemein hat: die zeichnende Methode.
Es ist in neuerer Zeit so viel über die Bedeutung des Zeichnens als Unter-
richtsmittel im allgemeinen geschrieben worden, daß es gut sein wird, zunächst
sich die Hauptergebnisse dieses Meinungsaustausches zu vergegenwärtigen,
ehe man daran geht, die Frage vom besonderen Fachstandpunkt aus zu be-
leuchten. Wir sehen heute im Zeichenn nicht nur eine künstlerische Be-
tätigungsform, sondern ein Veranschaulichungs- und Darstellungs-
mittel von umfassender Bedeutung. Meumann! sagt in seiner psychologischen
„Analyse des Zeichnens‘: Nıcht nur dem Zeichenunterricht selbst, sondern
vor allem dem‘Hilfszeichnen in allen Realienfächern kommt ein unermeß-
licher Wert für die Veranschaulichung der Unterrichtsstoffe und deren
spontane Verarbeitung durch den Schüler zu . . . Bei allem, was der
Schüler einmal gezeichnet hat, ist er unter dem Zwange gewesen, es genau
zu beobachten, sich konstruktiv klarzumachen, ungenaue Anschauungen
durch genaue Zu verdrängen, sich die Stoffe nicht nur verbal, sondern auch
visuell und konstruierend, und sie aktiv gestaltend einzuprägen. Die all-
gemeine Bedeutung des Zeichnens liegt aber weiter darin, daß das Kind mit
dem Zeichnen zum ersten Male neben seiner Sprache eine zweite Form des
Ausdrucks und der Darstellung (Mitteilung) seines inneren Lebens
gewinnt, die rein anschauliche und das Objekt selbst wieder-
gebende. Während sprachlicher Ausdruck und sprachliche Darstellung die
beiden Einseitigkeiten haben: 1. mit fortschreitender Entwicklung immer ab-
strakter zu werden, 2. immer mehr sich dem allgemeinen „Sprachgebrauch‘“‘
anzupassen, bleibt dem Kinde in der Zeichnung der Zwang, sich in rein an-
schaulich-darstellender Form zu äußern.“
Wie kommt es, daß so viele Menschen zeichnerisch außerordentlich wenig
leisten? Früher, als man mehr diz künstlerische Seite betonte, war das Urteil
rasch gefällt: es fehlt den meisten an „künstlerischer Begabung“, an „Talent“;
später sah man im Zeichnen eine Handfertigkeit, die jeder erlernen kann,
wenn er die Hand nur übt; Die experimentelle Psychologie hat die Frage tiefer
zu erfassen gesucht und folgende Antworten gefunden (Meumann):
1. Die meisten Menschen sehen die Dinge höchst ungenau; ihr Sehen ist
in keiner Weise ein analysierendes und merkendes Sehen; es ist nicht
mit der Absicht verbunden, die Formen der Dinge zu merken.
} Ernst Meumann, Vorlesungen zur Einführung in die experimentelle Pädagogik und
ihre psychologischen Grundlagen. 2. Aufl. 3. Band. S. 694ff. Leipzig, Engelmann 1914.