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Wesen der Erdkunde,
keit vom Menschen. Mit dem von tiefer Frömmigkeit diktierten religiösen,
teleologischen Einschlag will Ritter seine Erdkunde zu ihrem höchsten Ziele
führen, indem er sie bezeichnet als „die Lehre von unserm Planeten in
seinen Beziehungen zur Natur, zu dem Menschen und zu Gott,
seinem Schöpfer‘.
Ritters Geographie war aus dem Studium der Quellen, nicht der Natur,
erwachsen, mit starkem philosophischem, geschichtlichem, ja religiösem
Unterton — daher ihre etwas einseitige Hervorhebung der menschlichen Ver-
hältnisse, die mangelnde Tiefe in der Auffassung der physischen Seite. Hier
trat nun Alexander v. Humboldt! (1769—1859) in die Lücke. Als Forschungs-
reisender wie als Schriftsteller über eine erstaunliche Summe von Einzel-
kenntnissen verfügend, suchte er seine Hauptaufgabe darin, aus der Fülle
des einzelnen zu großen Gesichtspunkten aufzusteigen. Dadurch wurde er
der Begründer vieler neuer erdkundlicher Arbeitsmethoden. Die zusammen-
hanglosen barometrischen Höhenzahlen verwertete er zur Herstellung topo-
graphischer Profile; die örtliche Verteilung der Wärme stellte er in Iso-
thermen dar; aus einzelnen Gipfel-, Paß- und Kammhöhen gewann er mittlere
Zahlenwerte; von der bloßen Aufzählung der gesammelten Pflanzen schritt
er weiter, nicht nur zur kartographischen Darstellung ihrer Verbreitungs-
gebiete, sondern auch zur Untersuchung ihrer geographischen Bedingtheit.
Ziffern machte er lebendig durch Vergleiche; Statistik und Staatswissen-
schaft lieferten ihm die Grundlagen zu wirtschaftsgeographischen Betrach-
tungen. In seiner Schrift über Neuspanien schuf er eine physische Länder-
beschreibung, in der er die örtlichen Erscheinungen ursächlich an die gesetz-
mäßig auftretenden Naturkräfte kettete. Nach dem Vorgange der beiden
Forster und Goethes schrieb er Naturschilderungen von höchstem wissen-
schaftlichem wie künstlerischem Werte. „Mit bemerkenswertem Sinn für
Philologie, vergleichende Sprachwissenschaft und historische Literatur hat
er außerdem zum ersten Mal in echt. wissenschaftlichem Geist die Geschichte
der Geographie und der Entdeckungen als Ergebnis tiefer Studien geistvoll
bearbeitet‘ (v. Richthofen). Humboldt war zu vielseitig beschäftigt, als daß
er für die streng umgrenzte Auffassung eine bahnbrechende Bedeutung er-
langen konnte. Sein Verdienst liegt in der Stellung zahlreicher neuer Auf-
gaben, in seiner Betonung der stofflichen, naturwissenschaftlichen Seite der
Erdkunde, die er mehr befruchtet hat als die eigentlichen Naturwissen-
ı K. Bruhns, Alexander v. Humboldt, eine wissenschaftliche Biographie. Leipzig,
F. A. Brockhaus 1872. (Darin: O0. Peschel, Humboldts Wirksamkeit in Erd- und Völker-
kunde, Staatswirtschaft und Geschichtschreibung.) — F. G. Hahn, Die Klassiker der
Erdkunde und ihre Bedeutung für die geographische Erforschung der Gegenwart. Königs-
berger Studien 1. Bd. o. J. — O0. Krümmel, Ausgewählte Stücke aus den Klassikern
der Geographie für den Gebrauch an Hochschulen zusammengestellt. Kiel und Leipzig,
Lipsius & Tischer 1904,