Wesen des Arbeitsunterrichts.
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dringen in die Vorstellungskreise und in die Denkungsweise dieses Gebietes
den reellen Arbeitsmethoden angepaßt ist, die sich innerhalb jener Geistes-
gebiete mit psychologischer Notwendigkeit entwickelt haben.‘ Deshalb ver-
langt Kerschensteiner auch nicht nur Werkstätten für allerhand Handfertig-
keiten, sondern auch „geistige Arbeitsstätten und Bibliotheken für Ge-
schichte, Geographie, Naturkunde und Raumlehre‘‘, Er verlangt gemeinsame
Bearbeitung bestimmter umfassender Aufgaben, Berichte über frei gewählte
Schriften, besondere Lesevormittage in der Schule, damit sich Gründlichkeit
der geistigen Arbeit mit der Freude am freien Schaffen verbinde. Denn „zum
Wesen der Arbeitsschule gehört die Erzeugung von überschüssiger Arbeits-
freude. Ob die höheren Schulen diesen Ehrentitel der Arbeitsschule ver-
dienen, das erkennen wir daran, daß ihre reiferen Schüler nicht bloß die Lust,
sondern auch die Zeit finden, sich freiwillig mit wissenschaftlichen Arbeiten
gemäß ihren Neigungen zu beschäftigen.‘ Harms äußert sich in ähnlichem
Sinne: „In dem richtig verstandenen Arbeitsprinzip steckt nicht etwa bloß
das Handarbeits-, sondern in erster Linie das Erarbeitungsprinzip, also
nicht bloß die Forderung der Handarbeit, sondern vor allen Dingen ein neues
Prinzip der geistigen Betätigung, nämlich das Prinzip eines viel selbstän-
digeren Erarbeitens der Geistesschätze seitens der Zöglinge auf Grund der
Natur und des elementarwissenschaftlichen Buches, (Geogr. Anz. 1920.)
Aus dieser Blütenlese möge vor allem hervorgehen, daß die Arbeitsschule
viel mehr will als etwa nur eine verstärkte Betonung der Handfertigkeit, des
„Bastelns‘“ bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. Wollen wir ihr
Wesen in Gegensätzen kurz wiedergeben, so etwa in folgenden: „Produktive
Selbstbetätigung statt rezeptiver Stoffaneignung‘“, Wollen und Können statt
Auswendiglernen und Wissen, Freiheit mit Verantwortlichkeit statt Zwang,
freiwillige Arbeitsgemeinschaft statt Massenunterricht. (Wenn freilich die
Reichsverfassung Arbeitsunterricht als Lehrfach in der Schule fordert, So
ist dies nicht geeignet, die allmählich erfolgte Klärung des Begriffes zu fördern
denn hier ist offenbar nur an den selbständig zu erteilenden Werkunterricht
gedacht !)
Es ist seltsam, daß Kerschensteiner in einer seiner neuesten Schriften! eine
Anwendung seiner Grundsätze auf das Fach der Erdkunde schlechthin für
unmöglich erklärt und aus dieser Überzeugung heraus der Erdkunde jeden
erziehlichen Wert abspricht. „Der Geographieunterricht kann nicht entfernt
einen Ersatz für einen soliden naturwissenschaftlichen Unterricht geben, da
ihm das Experiment fehlt. (!) Und da der größte Teil des Wissensmaterials,
das in ihm aufgespeichert ist, nicht erarbeitet, sondern im wesentlichen vom
Lehrer gegeben werden muß, so bleibt die bildende Kraft der spärlichen
I G. Kerschensteiner, Das Grundaxiom des Bildungsprozesses und seine Folgerungen
für die Schulorganisation. Berlin 1917. Vgl. hierzu die entschiedene Zurückweisung durch
F, Lampe, Zur Ausgestaltung des erdkundlichen Unterrichts. Aus d. Nat. 1918, H. 5/6.