Penck und Ratzel..
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der Kleinformen auf und setzt sich das Ziel, auch die Großformen auf diese
Weise zu erklären. Neben der Entwicklungsgeschichte beachtet sie vor allem
die „innige Beziehung von Klima, Dichte des Pflanzenkleides und feinerer
Gestaltung, die sich in einer bestimmten physiogeographischen Kor-
relation äußerst“
Die Befürchtung, daß die zu starke Betonung des Beobachtens zu einer
einseitigen Auffassung von den Aufgaben der Erdkunde führen könne, ver-
anlaßte E. Tiessen auf dem Nürnberger Geographentag seine Ansichten zu
entwickeln, die eine beachtenswerte Ergänzung der Penckschen Ausführungen
bilden... Er stellt der beobachtenden Geographie eine konstruktive gegen-
über. Das „eigentliche. Gebiet der Geographie, ihr eigenstes und unver-
äußerliches Arbeitsfeld, liegt, wie jetzt immer häufiger und stärker betont
wird, nicht in der selbständigen Beobachtung dieser eroberten Forschungs-
objekte, sondern in der Erforschung der ursächlichen Beziehungen aller Be-
obachtungstatsachen im Bereich der Erdoberfläche, gleichviel von welcher
Wissenschaft die Beobachtungstatsachen kommen‘. Und daß das Ver-
arbeiten fremder Beobachtungen keineswegs die leichtere Aufgabe ist, dafür
zitiert er Sir Geörge Goöldie: „Die Quelle unserer Schwäche liegt nicht in dem
Mangel an notwendigem Rohmaterial, sondern in dem Mangel an Männern,
die zur Anwendung wissenschaftlicher Methoden auf dieses Rohmaterial be-
fähigt sind.‘ Namentlich länderkundliche Gesamtdarstellungen er-
fordern ein starkes Maß konstruktiver Arbeit, das vielleicht gerade der am
besten zu leisten vermag, dessen Blick nicht durch die subjektive Auffassung
eines selbst geschauten Bruchstückes der Landschaft getrübt ist, der viel-
mehr das Ganze „wie aus ferner Vogelperspektive‘‘ überschaut. Jedenfalls
ist S. Günthers Schlußurteil über die Auseinandersetzung zwischen beobach-
tenden und konstruktiven Geographen der beste Ausweg: beide Rich-
tungen als gleichwertig anzuerkennen, die letztere aber nicht als
„kompilatorisch‘ und minderwertig .zu stempeln.
Unter denen, die das Schwergewicht mehr auf die Geographie des Men-
schen legen. und damit an Riftersche Gedanken anknüpfen, ist der bedeu-
tendste Friedrich Ratzel!.
Sein trefflicher Schüler Chr. Gruber kennzeichnet ihn folgendermaßen: Er
ist der Philosoph unter den Geographen, ausgezeichnet durch einen poly-
historischen Zug, die naturwissenschaftliche und geschichtliche Erkenntnis
gleichermaßen beherrschend. „Die tausendfältigen Erscheinungen am Erd-
körper, mögen sie nun Form oder Farbe, Gestein oder Lebewelt, Natur- oder
Kulturvolk, eine starke geschichtliche Bewegung, einen wirtschaftlichen Auf-
ı K. Hassert, Dem Andenken Friedrich Ratzels. Deutsche Monatsschrift 1904. —
Ders., Friedrich Ratzel, sein Leben und Wirken. Geogr. Zeitschr. 1905. — Chr. Gruber,
Geographie als Bildungsfach. Leipzig, Teubner 1904. — F. Ratzel, Anthropogeographie
oder Grundzüge der Anwendung der Erdkunde auf die Geschichte. Stuttgart, 2. Aufl. 1899,