Full text: Allgemeiner Teil (6. Band, 1. Teil)

H. Wagner und Kirchhoff, 
13 
Religionen, die Geschichte keine Forschungsobjekte der Geo- 
graphie*, 
Lag die Bedeutung der zuletzt genannten Forscher in der Weiterbildung der 
Forderungen für einzelne Teilgebiete der Erdkunde, so sehen wir in Hermann 
Wagner? den universellen Systematiker, der in seinem „Lehrbuch der Geo- 
graphie‘“ alle Teile der allgemeinen Erdkunde mit gleicher kritischer Sorgfalt 
behandelt — freilich ohne daß er dem Gesamtgebiete einen einheitlichen 
Charakter zuerkennt. Und so wird er zum ausgeprägtesten Vertreter des. 
Dualismus in der Erdkunde. Er erklärt folgermaßen: „Die Geographie zeigt 
uns. einerseits die Erde als einen eigenartigen Naturkörper, an dessen 
mannigfaltig gestalteter Oberfläche eine Fülle von Naturerscheinungen durch. 
ihr gesetzmäßiges Ineinandergreifen das Leben zahlloser Einzelwesen bedingt, 
andererseits betrachtet sıe dıeselbe als Wohnplatz eınes höher organisierten 
und dem Naturwalten nicht blindlings hıngegebenen Wesens, des Menschen. 
Im ersten Sinne ist die Geographie, als physische Erdkunde, eine reine 
Naturwissenschaft, insofern sie ihre Lehren an der Hand der Betrach- 
tungen äußerlich wahrnehmbarer Natur-Objekte und -Erscheinungen auf- 
baut. Sie unterscheidet sich von den einzelnen Zweigen der Naturwissen- 
schaften, mit denen sie dıe Gegenstände vielfach teilt, vor allen Dingen darin, 
daß sıe stets den Gründen der räumlichen Anordnungen von Natur- 
körpern und -erscheinungen an der Oberrläche des Erdballes nachspürt; sie 
bleibt daher nicht, wie vielfach die Einzeldisziplinen, bei den Ursachen der 
Existenz von Einzelwesen oder Vorgängen stehen, sondern sucht die Wir- 
kungen zu erforschen, welche diese verschiedenartigen Existenzen wieder 
auf andere oder auf die Gesamtheit aller sich berührenden Erscheinungs- 
formen ausüben.“‘ 
„Im anderen Sinne stellt die Erdkunde, indem sie die Eigenheiten der 
Oberfläche erforscht, den Menschen mitten in die Schöpfung hınein und 
zeigt, wie er einerseits von der ihn umgebenden Natur abhängig ist, anderer- 
seits, wie er versucht hat, sıch dieser Abhängigkeit zu entziehen. Dieser 
Zweig der Erdkunde, die historische Geographie im weiteren Sinne, 
bildet somit das verknüpfende Band zwischen Naturwissenschaft und Ge- 
schichte. Auch für diese ist die physische Geographie Grundlage und Voraus- 
setzung, weil es sich bei ıhr gleichfalls um die Ergründung der Ursachen 
handelt, durch welche die räumliche Anordnung menschlicher Erscheinungen 
bedingt ist. Hiernach ist die Geographie eine naturwissenschaftliche 
Disziplin mit einem ihr innewohnenden historischen Element.“ 
Hermann Wagner, dessen Lehrbuch noch immer keinen abgeschlossenen 
länderkundlichen Teil erhalten hat, wird wirksam ergänzt durch Alfred 
| Hettner sagt demgegenüber: „Wenn man das geistige Leben herausläßt, so bleibt die 
geographische Erkenntnis des Menschen Stückwerk.““ 
2 Herm. Wagner, Lehrbuch der Geographie. 10. Aufl. 1. Bd. Hannover u. Leipzig 1920..
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.