Full text: Allgemeiner Teil (6. Band, 1. Teil)

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Wesen der Erdkunde. 
Kirchhoff‘. Auch für diesen ist die Erdkunde „eine Naturwissenschaft mit 
integrierenden historischen Bestandteilen“: auch er huldigt dem Dualismus 
— zum mindesten innerhalb der allgemeinen Erdkunde. Aber. in der An- 
wendung auf einen eng umgrenzten Erdraum gilt ihm die Erfassung der Ge- 
samterscheinungen zu einem einheitlichen Bilde als dringend erforderlich. 
„Erkennt man — in der allgemeinen Erdkunde — sofort die Möglichkeit 
einer Trennung in ‚physische‘, d. h. allgemein-physische Erdkunde und in 
die wesentlich historische Elemente bergende Anthropogeographie, so läßt 
sich dagegen die Länderkunde, die man auch besondere, besser ‚sondernde’, 
Erdkunde (oder spezielle Geographie) nennen kann, nicht zerreißen in eine 
natürliche und in eine geschichtliche Abteilung.“ „Ein bewohntes Land ist 
jedesmal in dem untrennbaren Ineinander ‘von Boden- und Gewässerver- 
teilung, Wetterspiel und Fluraufteilung, Küsten- und Straßenzug, Kanalan- 
lagen, Städten und Dörfern ein Mikrokosmos, dessen Eigenart in der sich 
wechselseitig bedingenden Fülle natürlicher und menschlicher Verhältnisse 
begründet liegt.‘“ In dieser starken Betonung der Länderkunde, als 
einer kausalen Erfassung der gesamten Landesnatur, liegt das Hauptverdienst 
Kirchhoffs. 
Es ist keine Frage, daß in dem allzu stark betonten Dualismus eine Schwäche 
liegt, die die Unterbringung unserer Wissenschaft in einem allgemeinen 
System erschwert. Seine Beseitigung durch einen alles umfassenden Ge- 
sichtspunkt mußte daher die Aufgabe weiterer Erklärungsversuche sein. Am 
wirksamsten hat in dieser Richtung zweifellos Alfred Hettner? gearbeitet. Er 
hat mehr als die meisten anderen Methodiker die Frage nach dem Wesen der 
Geographie von einem höheren, philosophischen Standpunkte beleuchtet und 
sich daher von einseitigen Auffassungen freigehalten. 
Hetiner unterscheidet mit Comte die theoretischen Erfahrungswissen- 
schaften in abstrakte und konkrete, ohne daß hierbei Übergänge — z, B. 
von der ganz abstrakten Physik, Chemie, Psychologie zu der allgemeinen 
Mineralogie, Physiologie u. a. — auszuschalten wären. Bis zu einem gewissen 
Grade fällt dieser Unterschied mit den neuerdings von Windelband geprägten 
Namen der nomothetischen und idiographischen oder Gesetzes- und 
ı! W. Ule, Alfred Kirchhoff. Geogr. Zeitschr. 1907. — Ders.,, Alfred Kirchhoff, ein 
Lebensbild, Halle a. S. 1907. 
* A. Hettner, Geographische Forschung und Bildung. Geogr. Zeitschr, 1895. — Ders., 
Das Wesen und die Methoden der Geographie. Geogr. Zeitschr. 1905. — Ders., Die Ent- 
wicklung der. Geographie im 19. Jahrh. Geogr, Zeitschr. 1898. — Ders., Neue Äuße- 
rungen über Wesen und Aufgaben der Geographie. Geogr. Zeitschr. 1900. — Ders., 
Geographie des Menschen. Verh. Dtsch. Geogr.-Tag zu Nürnberg 1907. — Ders., Das 
System der Wissenschaften. Preuß. Jahrbücher. 122. Bd. 1905. — Ders., Die all- 
gemeine Geographie und ihre Stellung im Unterricht. Geogr. Zeitschr. 1918. — Ders., 
Die Einheit der Geographie in Wissenschaft und Unterricht. (Geogr. Abende im Zentral- 
institut f. Erziehung u. Unt. 1. H.). Berlin 1919.
	        
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