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Beziehungen der Erdkunde zu den Nachbarwissenschaften,
Weitaus am schwierigsten ist die Grenzführung zwischen der Geologie
und Geographie. Es ist nicht möglich, aus der Morphologie der Erdober-
fläche den Zeitbegriff auszuschalten. Es gibt keine vertiefte Auffassung der
Oberflächenformen, die nicht geologische Begründungen erforderte, die das
heutige Landschaftsbild nicht als etwas Gewordenes betrachten müßte.
Schon die Tatsache, daß die hervorragendsten Morphologen unserer Zeit,
Männer wie v. Richthofen, Penck, Davis, aus dem Lager der Geologen hervor-
gegangen sind, weist eindringlich auf die innige Verknüpfung der beiden
Schwesterwissenschaften hin. Aber es liegt eine gewisse Gefahr in einer allzu
engen Verbindung, eine Gefahr, die gerade die Erdkunde in erster Linie be-
droht: die Überwucherung rein geographischer Fragen durch petrographische,
stratigraphische und ‚tektonische Erörterungen. Ein Blick in neuere Mono-
graphien liefert reiches Beweismaterial hierzu. Untersuchen wir deshalb
unsere Beziehungen zu den Teilgebieten der Geologie i, w. S. etwas genauer.
Die moderne Petrographie ist durch ihre überaus verfeinerten Unter-
suchungsmethoden mehr und mehr zu einer Laboratoriumswissenschaft ge-
worden. Damit hat sie an Interesse für den Geographen merklich verloren,
ganz gleich, ob wir an die mikroskopische Untersuchung! und die darauf ge-
gründete Systematik oder an die von Osann? ausgebaute chemisch-petro-
graphische Arbeitsweise denken. Für uns genügt eine viel einfachere Syste-
matik, die sich mit den alten Sammelnamen behilft; wichtig bleibt uns nur
eine Frage: wie verhält sich das Gestein gegenüber den Angriffen der Atmo-
sphärilien; wie werden die Oberflächenformen durch die verschiedene Ver-
witterbarkeit der Gesteine beeinflußt? Und gerade auf diesem Gebiete lassen
uns die meisten Petrographen im Stich —.weil sie verlernt haben, den Blick
aufs Gelände zu richten. Was in dieser Beziehung Senff® vor Jahrzehnten ge-
schrieben hat, ist auch heute noch erdkundlich das Brauchbarste. Auch die
Wissenschaft, die der Verwitterung ihr Hauptaugenmerk zuwendet, die
Bodenkunde, hat sich durch die neuen kolloidchemischen Arbeiten? weit
aus dem Gesichtskreise der Geographen entfernt. Man könnte sagen: mehr
als wünschenswert; denn es ist keine Frage, daß in der Bodenkunde sich viel
ursächliche Bedingtheit und räumliche Verschiedenheit — also echt erdkund-
! Man vgl. etwa das für Geographen noch am meisten geeignete Lehrbuch von E. Wein-
schenk, Grundzüge der Gesteinskunde. 3. Aufl. Freiburg i. B. 1913. — Ders. , Petro-
graphisches Vademekum. Freiburg i. B. 1913.
* A. Osann, Beiträge zur chemischen Petrographie. Leipzig 1903—1914.
3 Senft, Steinschutt und Erdboden nach Bildung, Bestand, Eigenschaften —. Berlin 1867,
‘ A. Baumann und E. Gully, Untersuchungen über die Humussäuren. Mitteil. d.
K. Bayr. Moorkulturanstalt. München 1910. — V. Pöschl, Einführung in die Kolloid-
chemie. Dresden 1911. — E. Ramänn, Bodenkunde.. 3. Aufl. Berlin 1911. — Ders.,
Bodenbildung und Bodeneinteilung (System der Böden). Berlin 1918, — F. Bernauer,
Die Kolloidchemie als Hilfswissenschaft der Mineralogie und Lagerstättenlehre. Berlin
1924.