Full text: Allgemeiner Teil (6. Band, 1. Teil)

28 Beziehungen der Erdkunde zu den Nachbarwissenschaften. 
Sie wird schließlich versuchen, ihre Ergebnisse auch kartenmäßig festzulegen 
und eine „Kartographie der Landschaft“ ausbauen, von der uns bereits 
einige verheißungsvolle Proben vorliegen. In dieser vertieften Auffassung der 
Pflanzengeographie, wie sie neben. Drude! besonders auch Schimper? 'ein- 
gehend begründet hat, liegt ein gewaltiger Fortschritt — ein Fortschritt frei- 
lich, der an die rein botanischen Kenntnisse des Geographen sehr hohe An- 
forderungen stellt, selbst wenn er sich mit der bloßen Verwertung der anäd- 
tomischen und physiologischen Untersuchungen begnügen will. 
Etwas andere Gedankengänge hat neuerdings Gradmann? entwickelt, in- 
dem er sich hierbei an Alexander v. Humboldt anlehnt. Für ihn ist das Wesent- 
liche eine möglichst plastische Schilderung der Einzellandschaft, in der das 
Pflanzenkleid oft den ganzen Eindruck bestimmt, während die physiologische 
Eigenart der Einzelpflanze in den Hintergrund tritt. 
Für den Ausbau einer besonderen Tiergeographie scheinen zunächst 
die Bedingungen ungünstiger zu liegen. Die Tierwelt tritt im Gesamtbild der 
Landschaft so zurück, daß man sie kaum noch als einen besonderen Teil der 
Erdoberfläche auffaßt. Denn gegenüber den 2340 Kubikkilometern Pflanzen- 
substanz stellt ein Kubikkilometer als Summe aller Landtiere eine sehr be- 
scheidene Masse dar. Dazu kommt die größere Beweglichkeit, die leichte Orts- 
veränderung der Tiere, die sie nicht so sehr als zu einer Scholle gehörig er- 
scheinen läßt. Aber schließlich gelangen wir zu der gleichen Auffassung der 
Verhältnisse: Auch die Tiere haben einen Lebensraum, den sie zu erfüllen 
trachten; auch sie kämpfen um den Raum und sind während dieses Kampfes 
oft zu Wanderungen gezwungen. Auch für die Wanderungen der Tiere gibt 
es Schranken der Verbreitung: Schwankungen der Temperatur und des Feuch- 
tigkeitsgehaltes der Luft, Temperaturschwankungen des Ozeanwassers, Ober- 
flächenformen, Meeresstraßen, Flußläufe, Wüstengürtel, Steppen, Urwälder. 
Selbst die leichtbeschwingten Vögel werden bisweilen durch schmale Meeres- 
straßen in ihrer Verbreitung behindert — ein Beweis, wie sehr sie abhängig 
sind von ihrem Nährboden. Die Vorbedingungen zu einer chorologischen, also 
geographischen Behandlungsweise der Tierwelt sind somit gegeben: räum- 
liche Verbreitung, Wege der Besiedelung, oder anders ausgedrückt, das 
statische Moment der Lage und das mechanische der Bewegung (Ratzel) 
sind vorhanden, dazu auch die ursächliche Verknüpfung zwischen Tier- 
welt und Nährboden („Substrat‘“). Die Tiefe der Auffassung der geographi- 
schen Probleme ist genau wie in der Pflanzengeographie verschieden. Wenn 
* O. Drude, Die Florenreiche der Erde. Gotha 1884. — Ders., Handbuch der Pflanzen- 
geographie. Stuttgart 1890. — Ders., Die Beziehungen der Ökologie zu ihren Nachbar- 
gebieten. Abhandl. Isis, Dresden 1905. 
? A. F, W. Schimper, Pflanzengeographie auf physiologischer Grundlage. Jena 1898. 
> Gradmann, Pflanzen und Tiere im Lehrgebäude der Geographie. (Geogr. Abende. 
Berlin 1919.)
	        
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