Full text: Besonderer Teil (6. Band, 2. Teil)

Iberische Halbinsel. 
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Gegen Mitte Mai verwandelt sich die Steppe in einen grünenden Garten, 
bedeckt mit Hyazinthen, Krokus und Schneeglöckchen, und der Himmel 
lächelt im freundlichsten Blau auf sie herab. Nachtfröste gehören jetzt zu 
den Seltenheiten, höchstens bedeckt in kühlen Nächten reichlicher Tau Täler 
und Schluchten. Schwache Gewitter halten den ganzen Mai hindurch die 
Erde feucht. Im Juni erhitzt sich der Boden, überall klaffen Risse und 
Sprünge. Nun fällt kein Tropfen Regen mehr, und die Sonne brennt unbarm- 
herzig versengend und verdorrend vom bleiernen Himmel herab, Die Luft 
ist von Dünsten erfüllt, die unbeweglich und unverändert über der schmach- 
tenden Fläche lagern. Blutrot geht die Sonne auf und unter; die Hitze wird 
unerträglich durch ihre ununterbrochene Dauer. Der Pflanzenwuchs welkt 
und verbrennt zu Staub. Die Steppe wird dunkelbraun, Die Herden magern 
ab; die Rinder werden matt und schwach. Die Quellen vertrocknen, die 
Brunnen versiegen; alles lechzt und dürstet nach einem Tropfen erquickenden 
Wassers, 
Im August erreicht die Trocknis ihre qualvollste Höhe und beginnt dann 
wieder abzunehmen. Der Nachttau tritt ein, Gewitter bringen erfıischendes 
Naß. Der Himmel klärt sich; die Luft wird mild; die Steppe ergrünt aber- 
mals, Anmutig geformte Wolken ziehen über die zu neuem Leben erwachte 
Fläche. Aber mit dem September endigt die kurze Freude. Der Oktober 
ist reich an Nebeln und strömendem Regen, und am Ende des Monats tritt 
schon der Winter ein, der im November die uferlose Ebene mit dichtem, 
weißem Leichentuch bedeckt. 
Iberische Halbinsel. 
Wollte man alle Länder Europas in der gleichen Breite behandeln, wie 
es vorstehend an einzelnen Beispielen gezeigt worden ist, so würden natürlich 
drei Vierteljahre Zeit nicht entfernt zureichen. Aber das ist auch nicht nötig. 
Die Schüler brauchen die Pyrenäen oder Karpaten nicht in der gleichen 
Fülle von Einzeleindrücken zu erfassen wie die Alpen, den Typus der Hoch- 
gebirge, Sie brauchen die Pußta oder die Mancha nicht so anzuschauen wie 
die russische Steppe, die Insei Santorin nicht wie den Vesuv, die holländischen 
Marschen nicht wie die von früher her bekannte norddeutsche Marsch. 
Wenn Neapel ihnen das südländische Volksleben, Konstantinopel das 
Bild der orientalischen Stadt gezeigt hat, bedarf es nicht vieler Einzelzüge 
für andere Großstädte des Mittelmeergebietes. Was also auf der einen Szite 
an Zeit für eingehende Schilderungen und umfängliche Bilderbetrach- 
tungen verloren gegangen ist, muß auf der anderen durch schärfste Stoff- 
beschränkung und übersichtlichste Gliederung wieder eingeholt werden. 
Die Gesichtspunkte für solche kürzere länderkundliche Betrachtungen sind 
noch die gleichen, wie wir sie bereits für die deutschen Mittelgebirge 
entwickelt haben:
	        
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