Theodor Fischers Kirchenbauten in Württemberg
Von Dr. Julius Baum
siebenjähriger Arbeit hat Fischer erreicht, daß die
:chwäbische Architektur heute wieder in Ehren
elbst neben der Münchener Baukunst bestehen kann.
eider weniger durch das Vorbild seiner eigenen
ichöpfungen — ein trauriges Mißgeschick hat es
v‚efügt, daß von den Entwürfen, die er für Stuttgart
ınd das Schwabenland lieferte, nur ein kleiner Teil
usgeführt wurde —, als durch seine Lehrtätigkeit
ın der Technischen Hochschule in Stuttgart. Weil
ar nichts fordert, als Wahrheit des Künstlers gegen
ich selbst, Schaffen, wie es die innere Vision gebietet,
‚:hne Rücksicht auf jene willkürlichen Gesetze, die
vährend des 19. Jahrhunderts dem Architekten z. B.
‚orschrieben, in welchen der historischen Stilformen
ır bauen müsse, jedoch anderseits unter Wahrung
ıller Gesetzmäßigkeit, die im Schaffenden selbst,
vie in der Situation, dem Stadtbilde, der Landschaft
jegt, eben darum hat er so hervorragende, in seinem
Zeiste weiterschaffende Schüler heranziehen und
uf das gesamte schwäbische Bauwesen einen So
ıachhaltigen Einfluß ausüben können, daß selbst
‚eine persönlichen Gegner in ihren Schöpfungen
‚einer Art zu folgen suchen.
Unter den Werken, die Fischer auf schwäbischen
zoden schuf, nehmen (nach Vollendung der im Bau
‚egriffenen Arbeiten) die der Festfreude und dem
<unstgenusse gewidmeten Bauwerke der Zahl und
ier Größe nach die erste Stelle ein: die Pfullinger
Jallen, das Volkshaus und das Kunsthaus in Stutt-
sart, das Theater in Heilbronn. Ihnen reihen sich
jas zierliche Schulgebäude in Höfen und die
nächtige Heusteigschule in Stuttgart, ein Studenten-
1aus in Tübingen, Privathäuser in Stuttgart, Tübingen
ınd am Bodensee an, endlich die Kirchenbauten.
Vie diese Werke miteinander und mit den gleich-
‚eitig außerhalb Schwabens entstandenen Schöp-
ungen, wie der Universität in Jena, dem Studenten-
1ause in Kiel, dem Cornelianum in Worms, künst-
erisch verwandt sind, dies darzulegen wäre eine
Jer notwendigsten Voraussetzungen zum vollen Ver-
tändnis der so folgerichtigen und harmonischen
Intwickelung Fischers. Über die uns hier gesteckten
3renzen führte eine solche Darstellung indes weit
ıinaus. So müssen wir uns denn in der Haupt-
:ache auf eine Beschreibung und Analyse der Bauten
jeschränken, denen dieses Heft gewidmet sein soll,
1ämlich der drei schwäbischen Kirchen.
Als Theodor Fischer im Jahre 1901 München
verließ, um einem Rufe nach Stuttgart zu folgen,
da harrte seiner in Schwaben eine herrliche Auf-
yabe. Die württembergische Baukunst, die zwei
Menschenalter vorher, unter Salucci und Thouret,
ja noch unter Barth und Leins so köstliche Schöp-
fungen hervorgebracht hatte — man denke an die
Kapelle auf dem Rotenberg, den Kursaal in Cann-
stalt, an das Archivgebäude und zahlreiche Privat-
häuser in der Friedrich- und unteren Königstraße,
andlich an den Königsbau in Stuttgart — die
wyürttembergische Baukunst war seit der Gründung
des Reiches in jenem öÖden Schematismus erstarrt,
der zwei Jahrzehnte lang die Architektur Deutsch-
ands nahezu völlig beherrschte: man glaubte genug
zu iun, wenn man die Gebote der Zweckmäßigkeit
beachtete und im übrigen die Bauwerke äußerlich
nit schlecht imitierten Zierformen der vergangenen
‚ahrhunderte bedeckte. Und in diesem Zustande
zerharrte man in Schwaben noch, als draußen sich
ıllenthalben bereits frische Kräfte regten. Vor allem
war es München, das schon an der Jahrhundert-
wende einen erheblichen Vorsprung vor dem übrigen
Deutschland gewann. Hier entstand 1899 Adolf
Hildebrands berühmter Panaufsatz über die Be-
deutung der Größenverhältnisse in der Architektur,
in dem theoretisch auf das klarste formuliert war,
worauf es in der Baukunst ankommen müsse. Und
hier vermochte Theodor Fischer damals bereits
Jurch Taten zu beweisen, daß in der Architektur
ıls Kunst nicht nur Zweckmäßigkeit und etwa noch
Materialgerechtigkeit die entscheidenden Faktoren
seien, sondern wichtigeres, die Relationen des Baues
zur Umgebung, die Verhältnisse der Flächen und
Räume zueinander. Durch Fischers Bauten, das
Bismarckdenkmal am Starnberger See, die Schulen
'n Schwabing und an der Luisenstraße, die Erlöser-
kirche, entstand in München, wo die gute Tradition
der älteren Kunst, dank dem Schaffen Gabriel Seidls,
niemals ganz erloschen war, schon in den neunziger
Jahren eine Reihe von Monumenten, an die man
wieder den Maßstab anlegen durfte, der für die
<lassischen Werke des Mittelalters, der Renaissance
ınd des 18. Jahrhunderts galt. Und schon weckte
jas edle Beispiel Nacheiferung; es begannen die
Keime emporzusprießen, aus denen im Jahre 1908
die herrlichsten Blüten erwachsen sollten, die hohe
3tufe der Münchener Baukunst vor aller Welt be-
kundend.
In Stuttgart sah man, was in der Nachbar-
‚esidenz vorging, man erkannte den Wert der neuen
Kunst und war doch nicht fähig, sie aus eigener
Kraft zu schaffen. Statt sich in wertlosen Nach-
ahmungen zu versuchen, berief man den Schöpfer
aller dieser herrlichen Dinge, Münchens genialen
Bauamtmann, lieber selbst nach Stuitgart. Und in
Der Ruhm der Erlöserkirche in Schwabing,
enes Gotteshauses, durch das Fischer dem evan-
yelischen Kirchenbau neue, man möchte sagen, die
lım natürlichen Bahnen gewiesen hatte, erfüllte
ingst die Lande. Aber es dauerte Jahre, bis dem
\rchitekten ein zweiter Auftrag ähnlicher Art zuteil
vard. Erst im Jahre 1904 wendete sich wieder eine
Sirchengemeinde an ihn, die Pfarrei Gaggstatt. Das
IL.