Full text: Öffentliche Bauten

Dorf liegt im württembergischen Oberamte Gera- 
ıronn, unweit Kirchberg, in einer Mulde der korn- 
:eichen Hohenlohischen Ebene, die gegen das nahe 
Jagsttal in steilen, waldbedeckten Hängen abfällt. 
Mitten im Orte stand in der üblichen Weise auf 
dem Gottesacker, von einer hohen Steinmauer um- 
geben, im Schutze einer mächtigen Linde die noch 
aus der katholischen Zeit stammende, vom Alter 
geschwärzte Kirche. Nur ungern und auf Drängen 
der Gemeinde, die den Neubau an der vertrauten 
Stelle wiedererstehen wünschte, entschloß sich der 
Architekt zum Abbruch des bisherigen baufällig 
zewordenen Gotteshauses.*) Selbstverständlich war 
‘tür ihn, daß von der Umgebung soviel wie irgend 
nöglich erhalten werden müsse, vor allem der 
"indenbaum und die Kirchhofmauer. Damit waren 
Dereits zwei sehr wichtige Wirkungsfaktoren gegeben, 
ınd es galt nun nur noch, die Kirche selbst har- 
monisch in diesen Zusammenhang hineinzustellen. 
Die Lösung der Aufgabe ist in jeder Hinsicht 
neisterlich. Betrachten wir zunächst das Äußere. 
Der Platz für die Kirche wurde höher gelegt. 
Doch anstatt nach bekanntem Muster eine riesige 
Freitreppe zu einem weithin sichtbaren Portal hinan- 
zuführen, wählte Fischer den gerade entgegen- 
zesetzten Weg, damit schon von Anfang an dem 
Bau eine trauliche und anheimelnde Wirkung 
sichernd. Ein kleines Tor öffnet sich in der Mauer. 
Sintretend gelangt man über eine für die paar 
ıundert Kirchenbesucher gerade genügend breite, 
gebrochene, schattige Treppe zu einer gegen Norden 
und Süden offenen Halle im Vorbau, dessen mit 
einem zierlichen Erker geschmückte Ostwand un- 
nittelbar auf der Mauer sitzt, aus der hier ein Born 
quillt. Hinter diesem schmalen, schmucken Vorbau 
erhebt sich das eigentliche Gemeindehaus groß und 
schlicht mit hellen Rundbogenfenstern, einem ge- 
waltigen Dache und einem kleinen Krüppelwalm 
über dem ungegliederten Westgiebel. Im Osten 
schaut das von zwei Türmen flankierte Glocken- 
1aus darüber. Dieses Glockenhaus ist so, wie 
es Fischer verwendet, ganz Kind seines Geistes, 
sine Erfindung von solcher Feinheit der Stimmung 
und Schönheit der Form, daß man sich nur darüber 
wundert, wie sie dem Mittelalter fremd bleiben 
xonnte. Zwischen die beiden, aus dem Achteck in 
die zylindrische Gestalt übergehenden, helmbedeckten 
Türme spannt sich ein großer Bogen, unter dem 
der von der Sakristei begleitete Chor sich an das 
Langhaus schließt, während er selbst die hohe 
Glockenstube mit dem Doppelpaar gekuppelter 
ffener Rundbogenfenster trägt, durch welche die von 
den Filialorten zum Gottesdienst herbeiströmenden 
Gemeindegenossen weithin die schwingenden Glocken 
sehen. 
*) Vgl. Günther, Theodor Fischers Entwurf der Gagg- 
statter Kirche. Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche 
Kunst, 1904, S. 41 ff. — Eine Wiedergabe des Originalentwurfes 
°lır das Innere im Christlichen Kunstblatt, 1905. S. 300 
Der wohltuende Eindruck der gesamten Form 
vird noch durch das Material gesteigert, Bruchstein- 
1auerwerk mit breiten, weißen Fugen, an den Ecken 
‚Uurch Quader von Haller Sandstein zusammen- 
yehalten. Nur die oberen Teile des Turmes sind 
verputzt, die Dächer mit dunklen Ziegeln gedeckt. 
Unverkennbar ist die innere Verwandtschaft 
zwischen dieser Dorfkirche und dem stattlichen 
jotteshause in Schwabing. Beide besitzen einen 
;olchen Stimmungsgehalt und eine so vollendete 
larmonie in der Verteilung der Massen, wie sie 
vohl unter allen lebenden Architekten nur Fischer 
ıus den Bauten strömen zu lassen vermag. So eng 
lie beiden Werke aber auch als Schöpfungen einer 
tarken Persönlichkeit zusammengehören, so ver- 
:chieden sind sie doch in ihrem formalen Aufbau. 
n München lockere Verteilung der Massen in 
dennoch sicher fühlbarem Gleichgewicht, ein Turm 
ıeben der Fassade, viel Vorsprünge und zurück- 
retende Teile, in Gaggstatt weit stärkere Betonung 
ler Symmetrie durch das Turmpaar und, in unver- 
‚ennbarem Fortschritte gegenüber den Münchener 
3auten, straffere Zusammenhaltung des Ganzen, 
zrößere Geschlossenheit, ohne Verlust an malerischer 
Nirkung. 
Auch im Inneren sind die Kirchen in München 
ınd Gaggstatt wesentlich verschieden. Die statt- 
iche Anlage der Münchener Erlöserkirche ermöglicht 
2s, die Emporen in der Weise der frühmittelalter- 
ichen Architektur als Obergeschosse der Seiten- 
;chiffe anzulegen und in großen Steinbogen gegen 
las Mittelschiff sich öffnen zu lassen. Auch die 
aggstatter Kirche ist im Grundrisse dreischiffig 
ıngelegt, indem die Emporen auf Steinpfeilern und 
3ogen ruhen. Während in München jedoch basili- 
cale Sargwände sich über den Emporenstützen und 
bogen erheben, herrscht in Gaggstatt größere 
VWeiträumigkeit; die Emporen sind, dem Raum- 
indrucke nach, nicht Teil einer dreischiffigen Archi- 
ektur, sondern in eine einschiffige Saalkirche ein- 
yebaut. Also auch hier, dem Charakter der Dorf- 
sirche und zugleich der Art der künstlerischen 
intwickelung Fischers entsprechend, straffere Kon- 
entration der Mittel. Der nämliche Zug auch in der 
"horanlage. Wie dies zuweilen schon in altwürttem- 
jergischen Kirchen vorkommt, über dem Altar die 
Canzel, darüber die Orgel; das ursprüngliche Projekt 
:ah eine in zwei symmetrischen Armen sich aufbauende, 
u beiden Seiten des Altars ansteigende Freitreppe vom 
„anghause zur Kanzel, sowie Choremporen auf Kon- 
.olen vor, die indes nicht zur Ausführung kamen. 
Jie Kanzel ist jetzt von der Sakristei aus zugänglich; 
ler ausgeführte Chor erscheint zwar nicht so mächtig, 
loch wesentlich ruhiger als im Entwurf. Das Innere 
wirkt vor allem durch seine großen, ruhigen Formen 
ınd die guten Verhältnisse; der Schmuck beschränkt 
sich auf die Ausmalung des Bogens vor der Orgel, 
lie Altargruppe, Christus und Magdalena von Melchior 
-. Hugo und die schlichte ornamentale Füllung der 
?mnorenbrüstung:.
	        
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