WAHRNEHMEN 117. II
o! nimm der stunde wahr, eh‘ sie entschlüpft,
SCHILLER 12, 111 (Piccol, 2,6);
da nahmen wir der musze wahr,
RÜcKERT ges, ged, 3, 257 (1837).
mit dem accusativ: er kunte kaum die zeit warnehmen, von
seiner princeszin die ursache zu erforschen. KormarTt Cassan-
dra (1685) 430; er (der hausirer) weis wie die frau mit dem
manne steht, und nimmt die zeit wahr, jene heimlich zu be-
reden, wenn der grämliche wirth nicht zu hause ist. MösEr
patr. phant. 1, 221; da der annähernde abend die gegend immer
mehr in’s dunklere zog, so nahm ich den zeitpunct wahr,
ehe sie mir entwischte, ihr meinen feyerlichen segen zu geben.
7, THÖMMEL reise 2,314 (1791);
mein stier nahm frisch und froh
dies tempo wahr, und spielte,
als sie nicht sah und fühlte,
ein neues qui pro quo, BürcEr 23" (prz. Europa);
da nahm ich das tempo wahr, sprang hinaus und schlosz
ihn ein. GörTHE Götz v. Berl., bühnenbearbeitung 3. aufz. 13. auftr.
(Weim. ausg. 13, 2,296); dennoch nahmt ihr den augenblick
wahr, als sie mit dem wetter kämpfte, euch heranzustehlen,
wo sie nicht entrinnen konnte. HEYsE nov. 5, 28 (Annina).
d) weil aber Ingram (beim falle) das glück hatte oben zu
kommen, nahm er seines vortheils so wohl wahr, dasz er
dem Decebal den helm vom haupte risz. LOHENSTEIN Arminius
1, 148°; Papin hätte dadurch seinen gegner rechtschaffen in
die enge treiben können, wenn er seines vortheils wahrge-
nommen hätte, KAnrT 8, 126 (1747); wäre nun Laokoon hlosz
ein gemeiner mensch, so würde er seines vortheils wahr-
nehmen, und wie die übrigen Trojaner in einer schnellen
Aucht seine reitung suchen. ScHILLER 10, 165; darum hatten
die höfe ‚. klüglich in mancherley traktaten ihres vortheils
wahrgenommen. Görnes Teutschland und die revolulion (1819) 11.
mit dem accusativ:
lady Grey (zu könig Eduard).
und was euch nur gefällt, soll mir genügen .,
Clarence (beyseil),
ich sorge nicht, wenn sie nicht etwa fällt.
Gloster (hbeyseil).
verhüt‘ es gott! er nähm’ den vortheil wahr (for hell take
vantages), Shakespeure Heinrich VI. 3, 3, 2.
die bauern haben sicher die vortheile der neuen zeit hier
wahrgenommen, sie haben sicher die laudemien und gefälle
abgekaufi, GuTzkow riller vom geist? 1, 261.
7) im südhannöverschen findet sich wärnömen als ‘worauf ge-
faszt sein, sich etwas gefallen lassen’ (eig, erwarten). SCHAMBACH
287 z. b.- wär’t goue (gule) verleif nümt, dei maut det slechte
ik wärnömen.
IL. die im nhd. vorwiegende bedeutung von ‘bemerken, inne
werden’ trült schon im mhd, auf und macht sich im 16. jahrh.
bereits stark neben der ursprünglichen von ‘auf etwas acht geben’
geltend, obgleich sie damals noch nicht allgemein herrschend ist,
so gebraucht zı b. LuTBER wahrnehmen noch in der älteren be-
deutung und unterscheidet es von gewahr werden, später fallen
die beiden verba aber mehr und mehr zusammen, abgesehen von
den resten der älteren gebrauchsweisen von wahrnehmen. die
schriftsteller gebrauchen entweder die verba ohne unterschied neben
zinander oder bevorzugen eins der beiden, wie z. b. GÖTHE ge-
wahr werden, und zwar keineswegs blosz für “ein plötzliches und
unvermuleles, oder ein minder genaues und weniger umfassendes
‚+. wahrnehmen’ (EBeErBarD synon. handıvb.!S 568). der ver-
schiedene ausgangspunkt bei wahrnehmen dAuszert sich indes doch
darin, dasz dies nachdrücklicher als gewahr werden ein mit
aufmerksamkeit verbundenes sinnliches oder geisliges erfassen be-
zeichnen kann, wie dies namenilich im gebrauch des wortes in der
philosophischen sprache (6) hervortritt, auch wahrnehmung als
‘beobachtung” weist auf die ältere bedeutung hin. in den mhd.
belegen trült das bedeutungsmoment der aufmerksamkeit meist noch
deutlich hervor?
do gesach ich sitzen einen man
in almitten under in (den thieren):
daz getröste mir den sin,
dö ich aver im näher quam
und ich sin rehte war genam,
dö vorht ich in alsö sere
als diu tier, ode mere, Harrta. v. AU Iwein 422;
sus begunder suochende gän
und sach ein schene palas stän ..
nü nam er einer stiege war. 6434;
dä frägter gegen Schanpfanzün
swaz im volkes widerfuor,
höch gebirge und manec muor,
WAHRNEHMEN HI 1. 2. 956
des het er vil durchstrichen dar,
dö nam er einer bürge war:
ävoy diu gap vil werden glast. ,
W. v. EscHEnzacH Purzival 398, 29;
niht lebendes drinne (im feuer) mac genesen,
ezn verbrinne ze pulver gar,
des habt ir ofte genomen war, nn
WIRNT V. GRAVENBERG Wigalois 191, 29;
swer heren welle daz er nie
vern@me, von mir, daz er ie,
der hwre hie
swaz im min zunge entsliuzet
und neme des süezen lobes war
von der diu gotes kind gebar. (/obgesang 11,5.
dann drückt wahrnehmen aber auch ein unbeabsichtigtes, unver-
muletes bemerken aus, so dasz die bedeutung sich weiter von der
ursprünglichen entfernt. in den wörterbüchern wird seil dem 17. jh.
Teullich auf die neuere bedeutung des worles hingewiesen und
lieselbe wol auch (Krämer, RÄnLeEIn) von der älteren unterschieden
(s. die angeben unter I, 2, a).
1) wie wahrnehmen in seiner ursprünglichen bedeutung seit dem
frühnhd. auch mit dem acc. verbunden wird (oben sp. 946), so frült
liese construclion auch bei wahrnehmen ‘bemerken’ seit dem 15. ih.
auf: hie ensleffet nicht, das nemmet war! .
Alsfelder passionsspiel 3366 Grein;
damit da vieng die mörin an
und lasz den zedel gancz und gar,
das namen all die frouwen war
und sprauchen all: sin ist genuog.
HERM. y. SACHSENHEIM mörin 1092;
von liebe wegen .. machen wir uns selbs underwürfig tusent-
‚altigen sorgen und angsten. nim war mich selbs, yetz wirt
ich sin ain exempel, ain fahbel und rüfe aller menschen. N. v.
WYLE lranslationen 50, 19 Keller. doch ist im 16. jahrh. die ver-
»indung mit dem gen. noch durchaus das gewöhnliche (belege s.
unien 2, a, a, b, a, ß), daneben steht sellener der acc. (s. 2,
>, a. ß die belege aus WICKRAM, SCHUMANN, RauwoLF, WETzEL).
im 17, jahrh. erlangt die verbindung mit dem acc. das übergewicht.
loch trıtt auch der gen. noch nicht selten auf: weil sie also
5eyde förchteten, man möchte seiner fuszstapffen gegen dem
age warnemmen. ZincerEr apophih. 13,9; das fräulein hatte
einer liebes-blicke in guter auffmerckung wahrgenommen.
BucnoLTz Herkules 1, 32°; ehe man des wolfs warnimt, er im-
proviso. SCHOTTEL 1116 (sprichw.);
jedweder sinn und glied nimmt meiner würckung wahr,
ein kräffıig seufzer ist ein werckzeug meiner stärcke.
LOHENSTEIN rosen 69,
‘m ganzen wird aber wahrnehmen als ‘bemerken’ fransitiv, wäh-
end sich in den unter IL besprochenen verbindungen der gen.
vesser hält. aus den wörlerbüchern ldszt sich die anwendung des
jen. nicht mehr beleyen. ADELUNG spricht sich ausdrücklich gegen
len von ihm als obd. angesehenen gebrauch aus. doch findet er
ch auch später noch in der poetischen sprache:
doch der mohr begibt sich
nach dem lustschlosz, wo mit freudigem sinn er
seines magischen Nügelpferdes wahrnimmt.
PLATEN 329 (Abbassiden 4);
sowie in allerlhümelnder prosasprache: er ., schlürfte bedächtig
den unklaren stoff. des schlafenden gastes nahm er nicht
vahr. ScherreL Ekkeh, 71; aus freundschaft zu Romeias, dem
vächter am thor, war er zurückgeblieben, wir hatten desz
nicht wahrgenommen. 177; zugleich halte er meiner wahr-
zenommen und bohrte mich mit seinen kleinen augen an,
5TORM sämmlil. werke 3, 224 (aquis submersus).
einen eigenlhümlichen refleziven gebrauch von wahrnehmen ir
„assivischem sinn hat MH. v. Kusıst:
das Jrängen nur
verwirrter Neger hülen nimmt sich wahr,
die im gefild’ des tod’s einander suchen.
1, 212 (Penthes, 7).
2) wahrnehmen ist zunächst *gewahr werden, bemerken’,
a) die bedeutung tritt am unmiltelbarsten hervor, wenn von per-
sonen oder gegenständen, die sinnlich erfusz:t werden können,
die rede ist und es sich um einen bloszen sinneseindruck handelt.
a) verbindung mit dem gen.: als der die frawen nye ge-
sechen noch ir nye wargenomen het (come colui che mai qua-
!ata non V’avca). decameron 178, 37 Keller; als aber die Indianer
unser war genomen, kunden sie uns kein grösser puberey
(hun, dann das sie .. flohen. ScaMiDEL reise nach Süd-Amerika
31, 14 Langmanlel; bisz er (der junker) on gefahr die augen
ıuffhebet, und neben der seiten im holtz einen gewapneten
‘itter ersahe .. dieser nun sehende, dasz der junckher seiner
yargenonımen, und deszhalben still schwiege, nähert er sich
31
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