Full text: Zur Frage der Erziehung des künstlerischen Nachwuchses

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gestellt haben. Es konnte keinem Zweifel unterliegen, daß die 
neuerstandene Technik eine straffe Ausbildung in der Schule 
erforderte, eine Tatsache, die sich von selbst ergab und an 
der auch gar nicht zu rütteln ist. Die künstlerische Erziehung 
ist mitgerissen worden, um so mehr, als sich gerade bei der 
angewandten Kunst eine schulmäßige Ausbildung wegen ihres 
Zusammenhanges mit der Technik als durchaus nötig erwies. 
Während nun aber bei den technischen Schulen die Beob- 
achtung zu machen ist, daß sie der Technik die denkbarsten 
Hilfsdienste leisten, während hier klar ersichtlich ist, daß die 
Technik mit den aus den technischen Schulen und Hochschulen 
hervorgehenden Hilfskräften die besten Erfahrungen gesammelt 
und die unglaublichsten Fortschritte gemacht hat, läßt sich ein 
gleich günstiger Zusammenhang zwischen den Kunstschulen 
und der heutigen Kunst nicht nachweisen. Niemand wird die 
Behauptung wagen, daß, weil wir seit etwa hundert Jahren 
Kunstschulen haben, die Kunst in dieser Zeit auf eine herrliche 
Höhe geführt worden sei. Eine unbefangene Beurteilung wird 
vielmehr zu dem Ergebnis gelangen müssen, daß die Kunst in 
allen früheren Zeiten höher stand und eine größere Bedeutung 
für den Menschen hatte als heute. Man könnte sogar Sagen, 
daß die Kunst des 19. Jahrhunderts im selben Maße gesunken 
ist, wie die ihr dienenden Schulen vermehrt worden Sind. 
Dennoch wäre es irrig, einen ursächlichen Zusammenhang 
zwischen der Errichtung von Kunstschulen und dem Rückgang 
der Kunst zu konstruieren. Daß die Kunst „stirbt‘“, liegt 
vorwiegend in der völligen Inanspruchnahme des heutigen 
Menschen durch die Technik und in der damit zusammen- 
hängenden auf Nützlichkeit ausgehenden und rein verstandes- 
mäßigen Geistesrichtung unserer Zeit überhaupt. Die Kunst 
sinkt nicht durch die Schulen, sondern trotz der Schulen. Wer 
das einsieht, wird davon Abstand nehmen, die Schulen für den 
künstlerischen Zustand der Zeit verantwortlich zu machen.
	        
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