jeder Maßstab fehlt, nach welchen wir uns
sonst an Bildern orientieren. „Wo haben Sie
denn, um Gottes willen, derlei je gesehen?“
Ich antworte dann stets, sanft: „Es kann aber
ja sein, daß er es so sieht, der Maler.“ Aber
das zieht mir den heftigsten Groll zu. Nein, das
kann nicht sein, so sieht man nicht — Sie wollen
doch nicht im Ernst behaupten, daß irgendein
Mensch so sieht?! Ich aber bleibe fest und be-
harre darauf: „Ich kann mir schon vorstellen,
daß jemand so sieht, freilich nicht auf einen
äußeren Reiz hin, aber auf einen inneren.“ Da
geschieht es mir nun immer wieder, daß mein
Partner auf einmal verstummt und mich er-
schrocken ansieht, als wenn ich plötzlich ver-
rückt geworden wäre. Er will mir nie glauben,
daß wir auch sehen können, wenn es draußen
nichts zu sehen gibt, daß wir auch mit ge-
schlossenen Augen sehen können, daß wir „Ge-
sichte haben“ können, Erscheinungen, Emp-
findungen der Augen ohne Reiz von außen.
„Wenn man krank ist“, entgegnet er lebhaft
und ist erstaunt, wenn ich widerspreche,
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Bahr