106 Beiderseits frei aufliegende, fachwerkgegliederte Dachbinder.
erfolgen. Der Inhalt des Abschnittes A,IV hat gezeigt, daß hier in der Güte und
im Wesen der Verbindungsmittel ganz bedeutende Unterschiede bestehen. Es ist
wohl immer das beste, vom Grundsatz der wirklichen Sicherheit, die der Versuch
zeigt, auszugehen. (Vgl. S. 40.) Die Kenntnisse guter Zimmermannskunst sind von
größter Wichtigkeit, genügen allein aber nicht zur Schaffung einwandfreier Binder-
konstruktionen. Schon in der Einleitung des Buches ist betont worden, daß es sich
hier für den statisch richtig empfindenden Konstrukteur um ganz neuartige, aus
ler Schwierigkeit des Baustoffes sich ergebende Aufgaben handelt.
Eine wirkliche Gelenkverbindung, wie solche dem Cremonaschen Rechnungs-
verfahren zugrunde gelegt wird, gibt es beim Holzbau ebensowenig wie beim Eisen-
bau; schon deshalb ist eine einwandfreie Berechnung schwierig. Es genüge auch
der Hinweis, daß man im KEisenbau mit wirklichen gelenkförmigen Anschlüssen
keine sonderlich guten Erfahrungen gemacht hat. Bekanntlich laufen die Gurte
ohne Stoß durch. Von den zum Teil recht beträchtlichen Nebenspannungen,
die sich hier ergeben, ist bereits auf S. 5 gesprochen worden; beim Holz sind sie
um so beachtlicher, als dieser Baustoff keine sog. Elastizitätsgrenze besitzt.
Eine genau zentrische und rein gelenkförmige Knotenpunktsverbindung ist im Eisen- wie im Holz-
bau kaum zu ermöglichen. Die Stäbe sind — von durchlaufenden Gurtstäben einmal ganz abgesehen —
wohl stets steif miteinander verbunden, wodurch die freie Drehbarkeit aufgehoben ist und die Stäbe
bei der durch Lastwirkung eintretenden Verschiebung der Knoten eine gewisse Verbiegung erleiden.
Diese Biegemomente erzeugen Zug- und Druckspannungen, deren Größtwerte an den Stabenden .auf-
sreten und durch welche eine Erhöhung der aus den Längskräften hervorgerufenen Spannungen herbei-
geführt wird. Selbst die beste Gelenkausbildung muß die freie Verdrehung der Stäbe infolge der zwischen
diesen und dem Bolzen oder Dübel auftretenden Reibung einschränken. Hinzu kommt noch — für die
erste Zeit wenigstens — die durch Schraubenanzug erzeugte Reibung infolge des Zusammenpressens
der Einzelhölzer.
Eine genauere Beurteilung der Größe solcher Nebenspannungen ist nur durch praktische Versuche
möglich. Man überschätze aber auch nicht ihre Größe, zumal in jedem Falle die nicht beseitigbaren
Eigenschaften des Holzes, Äste zu haben, Drehwuchs aufzuweisen, je nach Wassergehalt zu quellen oder
zu schwinden usw., mit in den Kauf genommen werden müssen. Zu bedenken ist weiterhin, daß die Ein-
spannlängen beim Holz zumeist kleiner als beim Eisen sind, und daß somit bei Winkeländerungen, wie
sie durch die Belastung eines Einzelstabes bedingt sind, diese Einspannungen weniger zur Geltyng kommen.
Es werden diese Einspannungen durch die geringe Widerstandskraft des Holzes bei Beanspruchung quer
zur Faserrichtung insofern auch stark beschränkt, als bei eintretenden geringen Winkeländerungen
die Nachgiebigkeit des Holzes in angegebener Kraftrichtung günstig in Wirkung tritt.
Das verschiedene Verhalten beider Fachwerke (Steif- und Gelenkfachwerk) läßt sich am besten
an einem Beispiele verfolgen, das die Schräge des Mittelfeldes eines ungleichmäßig belasteten Trägers
in Betracht zieht. Während bei einem aus irgendeiner Ursache erfolgten Bruch der Schräge (zu schwach
bemessen oder angeschlossen, im Holz fehlerhaft oder durch äußere Einflüsse geschwächt) der mit Ge-
lenken ausgebildete Träger schon unter der Eigenlast unbedingt einstürzen muß, wird. aller Voraussicht
nach der mit steifen Knoten ausgebildete auch unter der Verkehrslast noch halten. In dem gewählten
Beispiel ist ein Ausnahmefall herausgegriffen, um die praktische Bedeutung der steifen Knotenpunkt-
verbindung deutlich vor Augen zu führen. Beim Fachwerk mit steifen Knoten erfolgt nach Erreichen
der Fließgrenze des Baustoffes in einem oder in mehreren, aus beliebigen Gründen überbeanspruchten
Stäben eine Verteilung der Spannung auf die weniger beanspruchten Stäbe, so daß bis zu einem gewissen
Grade für die Standsicherheit eines solchen Fachwerks nicht der einzelne Stab, sondern eine Art Gemein-
schaftsgefühl sämtlicher Stäbe in Betracht kommt. Eine solche durch die steife Ausbildung der Knoten-
punkte vor sich gehende Verteilung der Spannungen hat einen elastischen Baustoff zur Voraussetzung,
wie es das Eisen und in annähernd gleich hohem Grade auch das Holz ist.
Immerhin ist nicht zu leugnen, daß beim Holz trotz höher gewählter Sicherheitsgrade eine Erhöhung
der Spannungen eines Stabes gefährlich werden kann, die beim Eisen trotz der niedrig gewählten Sicher-
heitsgrade noch keine unangenehmen Folgen zu haben braucht.
Abb. 211. bis 213 zeigen die Entwicklung des fachwerkgegliederten Trägers für
Decken und Dachformen. Man baute zunächst in ein Hängewerk ein zweites, drittes,
viertes usw., und zwar derartig, daß die Enden der Hängesäulen H mit den Fuß-
punkten der Schrägen S zusammenfielen.
Balken nach Art der Abb. 212, bereits 1830 von dem Amerikaner Long erdacht,
zeigen. gekreuzte Diagonalen und in Holz ausgebildete Vertikalen. Auch Howe,