Full text: Freitragende Holzbauten

Die geschichtliche Entwicklung des freitragenden Holzbaues. 13 
Einwirkung von Biegelasten ziemlich starken Versackungen unterworfen. Die 
Lavessche Bauform ist übrigens, nachdem bereits früher einmal ein Brevet (d. i. Patent 
der französischen Regierung) bestanden hatte, neuerdings wieder aufgenommen und 
zerade hinsichtlich der Scherkräfte neu durchgebildet worden. Die Abb. 10 zeigt An- 
wendungen des Lavesschen Balkens. Sie ist dem um 1840 erschienenen Werke 
„Memoire explicatif d’un nouveau systeme en Constructions‘“ von M. Louis Laves, 
entnommen. 
Nachdem der einfache Balken als Bauglied lange Zeit außer Gebrauch geblieben 
war, ist seine Wiedereinführung in den Holzbau durch die in neuerer Zeit gefundenen 
besseren Verbindungsmittel wieder herbeigeführt worden. In Betracht kommen 
hierfür sämtliche Dübelverbindungen, die bei genauer Rechnung und der gewissen- 
haften Arbeit maschineller Zimmerei eine Verbindung ohne Gefahr einer nachträg- 
lichen Sackung ermöglichen, sowie die von Hetzer eingeführte Verleimung von Bau- 
hölzern. 
Inter den Fachwerksbauten steht von jeher an der Spitze das ein- oder 
mehrfache Hängewerk, das bei geringeren Dachneigungen und offenem Dachstuhl — 
wenn also die Belastung symmetrisch anzusehen und die Biegungsfestigkeit des 
Abb. 11. Hauptkirche zu 
Bingen a. Rh. (1300—1400) 1). 
Abb. 12. Jesuitenkirche zı 
Koblenz (1400—1500} ?) 
Spannbalkens nicht zu berücksichtigen ist — als die einfachste statisch bestimmte 
Fachwerkform gelten kann. Die Abb. ll und 12 zeigen mittelalterliche Hänge- 
werksbauten von verhältnismäßig klarer Durchbildung. 
Ein weiteres, aber aus späterer Zeit stammendes Beispiel bietet Abb. 13, einen 
Dachstuhl von Elias Holl darstellend. Holl hat hier an den 17,4 m weit gespannten 
Hängewerksbindern nicht nur die Lasten des Daches, sondern auch die darunter- 
liegende Geschoßdecke aufgenommen, wobei die letztere mit Hilfe eiserner Zug- 
stangen, die durch Holzsäulen verkleidet sind, aufgehängt wurde. 
Ein Vergleich der drei Abbildungen 11, 12 und 13 zeigt deutlich die fortschreitende 
Klarheit in der Erfassung der statischen Zusammenhänge und. in der Trennung von 
;ragenden und getragenen Gliedern. Das in Abb. 11 dargestellte Gespärre der Haupt- 
zirche zu Bingen besitzt noch als einzigen Längsverband eine Firstpfette. Die Aus- 
sildung dieser mittelalterlichen Dächer kennt noch nicht die Unterscheidung zwischen 
Binder und Leergespärre. Die Abb. 12 und 13 zeigen bereits Bindergespärre mit 
starken Längsverbänden und dazwischengesetzten Leersparren. Dieser Übergang 
ist kennzeichnend für die Entwicklung in der Renaissancezeit. Als ein deutliches 
Beispiel dafür, welche Schwierigkeiten man auf diesem Wege zur Klarheit fand, ist 
in Abb. 14 noch eine weitere Binderform der Hauptkirche zu Bingen hinzugefügt, 
1) Aus Moller: Beiträge zu der Lehre von den Constructionen. 1844. An dieser Stelle sei auf den 
Aufsatz „Reste alter Holzbaukunst aus Hinterpommern und Bornholm‘‘ („Die Denkmalspflege‘* 1900, 
3. 108) aufmerksam gemacht. 
?) Den V.d. L-Nachr. vom 6. Mai 1925 entnommen.
	        
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