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Neunzehntes Kapitel.
zustellen gewohnt sei. Nur die Breite des halben Mondes habe
die Korona gehabt; ihre Gestalt habe sich absolut rund präsen-
tiert. Schauerlich schön sei die Beobachtung der Geschwindigkeit
gewesen, mit welcher der Mondschatten mit 750 m pro Sekunde
über Wolken und Erde gehuscht sei. Es fehlte dem Beobachter
der richtige Ausdruck für diese Erscheinung; er könne es vielleicht
mit dem Heranfliegen eines riesigen Raubvogels vergleichen. Die
Finsternis sei so stark gewesen, daß zur Ablesung der Instrumente
ein elektrischer Lichtstab benutzt werden mußte.
Wenn man bedenkt, daß die größtmögliche Dauer einer totalen
Finsternis für einen Ort nur ca. 8 Minuten beträgt, daß sie sehr
selten ist und für denselben Ort der Erde nur alle 200 Jahre vor-
kommt, so wird die große Wichtigkeit klar, unter allen Umständen
Ballonexpeditionen vorzubereiten, um für den Fall der trüben
Witterung eine Beobachtungsgelegenheit nicht zu versäumen.
Für Luftschifferzwecke sind magnetische Messungen unentbehr-
lich. Den Kompaß braucht man namentlich, um über den Wolken
in den Momenten sofort die Fahrtrichtung festzustellen, wenn ge-
legentlich ein Durchblick auf die Erde, durch gerade herrschende
absteigende Luftströme veranlaßt, vorhanden ist. Man hat auch vor-
geschlagen, die Deklination und Inklination — schon v. Sigsfeld
Frühjahr 1901 — zur Feststellung des Ortes, über dem sich ein
Luftschiff über den Wolken befindet, zu benutzen.!)
Zahlreiche optische Erscheinungen werden im Ballon beobachtet
und untersucht. Bekannt ist die sog. Aureole, die dem Brocken-
yespenst ähnlich ist. Der Schatten des Ballons mit seinen Insassen
erscheint in starker Vergrößerung auf der hell beleuchteten Wolken-
decke, umgeben von den Farbenringen des Regenbogens.
Sonnenauf- oder Untergang über dem Wasser oder in den
Bergen sind Schauspiele, die man nie vergessen wird, und man
zann dem Zufall dankbar sein, der alle diese Naturschauspiele einem
zu kosten gab.
So hat die wissenschaftliche Luftschiffahrt ein übergroßes Arbeits-
gebiet aufgedeckt und je mehr wir in die Geheimnisse der Natur
eindringen, desto mehr zeigt es sich, wie unendlich viele Geheimnisse
sie noch in sich birgt!
Per aspera ad terras ignotas!
1) Näheres im Kapitel »Navigation«.