Full text: Die Luftschiffahrt nach ihrer geschichtlichen und gegenwärtigen Entwicklung

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Zwanzigstes Kapitel. 
bei ziemlich kräftigem Nordwest, hebt sich der Ballon. Obgleich 
wir sofort Ballast warfen, blieb er — ich möchte beinahe sagen, ‚der 
Tradition gemäß‘ — an den Telegraphendrähten am Glacis einen 
Augenblick hängen, kam aber bei erneutem Sandwerfen — die Auf- 
fahrt kostete uns im ganzen 4'„ Sack — bald wieder frei. Wall- 
graben, Häuservierecke tauchten unter uns auf und entfernten sich 
schnell, selbst das Münster senkte sich bald. Wir waren in drei 
Minuten bis zum Bahnhofsplatz gefegt, dann stiegen wir rapid in 
dem dicken Grau des Nebels, und nach wieder drei Minuten hatten 
wir die häßliche naßkalte Zone hinter uns und standen im reinsten 
Sonnenglanz über den wallenden Nebelmassen. 
Im Osten hoben sich der Buckel der Hornisgrinde und einige 
höchste Punkte des Kniebis aus dem Dunst, im Westen, kaum 
merkbar, als dunkle Streifen ein Teil der Mittelvogesen. Im Süden 
‘hronte majestätisch eine große Wolkenmasse, deren Konfiguration 
wohl mit dem Hochgebirge hinter ihr Ähnlichkeit haben mochte. 
Rechts in der Tiefe erschien auf dem Nebel wiederholt der Ballon- 
schatten, ein geisterhafter Schatten in dieser sonnigen stillen Welt. 
Doch das Gefühl des Alleinseins im weiten Luftozean hoch über 
der Erde blieb nicht lange. Obgleich unsere Barometerhöhe 9 Uhr 
23 Minuten bei + 8° C 646 mm betrug, also Belchenhöhe, drang 
jetzt noch deutlich das Rollen. der Eisenbahnzüge zu uns herauf, 
wozu sich noch die militärischen Signale, wie Trommeln und Blasen, 
gesellten. Da zerreißt mal der Nebel: Direkt unter uns sehen wir 
einen halben Wellblechzylinder, den Personenbahnhof, daneben 
offenes Feld. Die Barometerablesung — 9 Uhr 37 Minuten — ergab 
einen Stand von 606 mm bei 4,4° C, unser höchster Stand, genau 
2000 m und bei nur 4,4° C, eine durch die Strahlung verursachte 
belästigende Hitze. 
Bei dem wiederholten Spiel des Nebels erschien noch einmal 
Jas Münster in ganz bedeutender Tiefe unter uns. Wenn man 
1700 m über seiner Kreuzblume ist, so darf es nicht wundernehmen, 
wenn es dem Beschauer nicht größer als ein Fußschemel vorkommt. 
Nach diesem Ausblick vom Ballon einen Einblick in den Ballon! 
Die Wirkung der Sonne machte sich so fühlbar, daß ich einige 
winterliche Kleidungsstücke ablegte und mich auch gerne der Fell- 
schuhe entledigt hätte, wenn es nicht zu umständlich gewesen 
wäre. Auch den anderen beiden Herren war es durchaus nicht 
kalt. Hätten wir lange oben bleiben können, so wären wir braun 
yebrannt worden.
	        
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