Full text: Die höheren Lehranstalten und das Mädchenschulwesen im Deutschen Reich (2. Band)

82 Lehrpläne und Lehrbetrieb. 
klassischen Altertums soll das Moderne und besonders das Nationale 
in den Mittelpunkt des Unterrichts treten. Es fehlt uns vor allem an 
der nationalen Basis. Wir müssen als Grundlage für das Gymnasium 
das Deutsche nehmen. Der deutsche Aufsatz muß der Mittelpunkt 
sein, um den sich alles dreht.“ 
Es war mit dieser Wendung unzweifelhaft der richtige und natur- 
gemäße Weg bezeichnet, auf dem nicht nur jener Zwiespalt zwischen 
Schule und Leben, sondern auch der Dualismus der realistischen und 
gymnasialen Bildung überbrückt werden konnte. Und die kaiserlichen 
Worte fanden vielfach im Lande, zumal bei der Jüngeren Generation, 
freudigen Anklang. Allein die Versammlung selbst, an die sie ge- 
richtet wurden, bestand zum weitaus größten Teil aus Anhängern 
des alten Gymnasiums, und diese waren ihrer ganzen Gesinnung und 
Anschauungsweise nach garnicht imstande, die Anschauung des Kaisers 
unbefangen zu würdigen und auf die neuen Grundsätze einzugehen. 
Was bei der nun folgenden Beratung herauskam*), war eine Art 
Kompromiß, der sehr zugunsten des Alten ausfiel. Der kaiserlichen 
Willensmeinung wurde in einer Anzahl einzelner Beschlüsse Rechnung 
getragen, im ganzen aber blieb die Versammlung weit davon entfernt, 
eine Umgestaltung des Schulwesens im Sinne des Monarchen anzubahnen. 
Der konservative Geist der Majorität trat besonders in den Beschlüssen 
über das Berechtigungswesen zutage. Das humanistische Gymnasium 
alieb nach wie vor die bevorrechtigte Anstalt, die mit ganz unbe- 
deutenden Einschränkungen den Zugang zu allen höheren Berufsarten 
eröffnete. Den Abiturienten der lateinlosen Oberrealschule wurde der 
Zutritt zum Staatsbaufach wie zum Universitätsstudium der Mathematik 
zugestanden. Das Realgymnasium wünschte die Majorität, hier im 
Einklang mit einer Wendung der kaiserlichen Rede, ganz abgeschafft 
zu sehen, und der gemeinsame Unterbau für Gymnasien und latein- 
lose Schulen wurde gegen die Ansichten der Regierungsvertreter ab- 
gelehnt. Am meisten Verständnis und Entgegenkommen bewies die 
Versammlung für die hygienischen Forderungen, welche der Kaiser 
in Übereinstimmung mit der öffentlichen Meinung erhoben hatte: Ver- 
minderung der Arbeitslast für die Schüler, im Zusammenhang damit 
die stärkere Betonung der körperlichen Ausbildung. Unter den 
Fragen, die der Kaiser persönlich der Konferenz vorlegte, lautete die 
erste: „Was soll außer dem rationeller zu erteilenden Turnen für die 
*) Fr. Paulsen, selbst ein Teilnehmer der Konferenz, aber ein entschiedener 
Gegner der Majorität, berichtet kurz und objektiv, aber scharf und treffend über den 
Verlauf derselben in der (Geschichte des (Gelehrten Unterrichts II, 591 ff.
	        
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