Full text: Die höheren Lehranstalten und das Mädchenschulwesen im Deutschen Reich (2. Band)

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Lehrpläne und Lehrbetrieb. 
die Schüler, was das Verständnis der Schriftsteller betrifft, im wesent- 
ichen auf dem Standpunkt der nach dem allgemeinen Lehrplane 
vorgebildeten; die Lektüre kann nun umso rüstiger vorwärts- 
schreiten, als eine größere Stundenzahl zur Verfügung steht.“ Das 
Verständnis der Lektüre aber bildet, wie wir im folgenden Abschnitte 
ıoch des näheren sehen werden, den Hauptgesichtspunkt des heutigen 
Lateinunterrichts, und mit Recht weist Reinhardt auf den Unterschied 
hin, der hieraus für die Stellung des Lateinischen im Lehrplane des 
Gymnasiums folgt: „Bis in das 19. Jahrhundert hinein war das La- 
:einische die Sprache der Wissenschaft und wurde zum Teil auch 
deshalb gelehrt, weil es ein internationales Verständigungsmittel der 
Gelehrtenwelt bildete. Diesem Endzweck war die Methode angepaßt: 
der Knabe mußte frühzeitig in die Sprache eingeführt werden. Er 
mußte lernen, sich mündlich und schriftlich in ihr auszudrücken und 
sich ihrer bis zu einem gewissen Grade bemächtigen. In der zweiten 
Hälfte des 19. Jahrhunderts hat das Lateinische diese Stellung ver- 
loren. Die Absicht dieses Unterrichts in der jetzigen Zeit ist, die 
Schüler zum Verständnis der bedeutenden Werke der lateinischen 
Literatur zu befähigen und zugleich in der straffen Zucht einer so 
festgefügten Sprache ihr Denk- und Sprachvermögen zu bilden. 
Nach diesem Zweck richtet sich nunmehr auch die Lehrmethode: 
der Wortschatz, mit dem der Schüler vom Beginn des Unterrichts an 
dekannt gemacht wird, ist den Schriftstellern entnommen, die er 
später lesen wird; der Lehrgang ist von vornherein auf grammatisches 
and logisches Verständnis gerichtet. Es ist einleuchtend, daß eine 
solche Lehrart bei 12—13jährigen Knaben besonders fruchtbar 
wirken und schneller zum Ziele führen muß.“ Wenn sich nun aber 
gegen die Verkürzung der Zeit, die dem Griechischen zugemessen 
ist, mit besonderer Erbitterung die Stimmen der Vertreter des Alten 
zrheben, so fällt hier das Urteil eines Mannes wie U. von Wilamowitz 
geradezu entscheidend als Gegengewicht in die Wagschale. Er zeigt 
in einer Abhandlung, auf die wir später noch genauer eingehen 
werden,*) wie ganz unabhängig von äußeren Fragen rein sachliche 
Rücksichten dazu führen, den Beginn des griechischen Unterrichts 
ım zwei Jahre hinauszuschieben und das durch intensiveren Betrieb 
in den letzten vier Jahren zu kompensieren, wie es auf den Reform- 
gymnasien geschieht. „Wer sich davon überzeugt hat, daß der Gehalt 
der griechischen Bücher es ist, um dessenwillen man sie lesen soll. 
*) Die Reform des höheren Schulwesens. S. 169
	        
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