19292 Lehrpläne und Lehrbetrieb.
wenigstens einen Teil der früheren höher gesteckten Ziele und Ge-
sichtspunkte mit Erfolg zu wahren. Allein es kann nicht zweifelhaft
zein, welchen Weg die künftige Entwicklung führen wird. Die Schul-
behörde hat, in Preußen wenigstens und den übrigen nord- und mittel-
deutschen Staaten, entschlossen mit der alten Auffassung des lateinischen
Unterrichts, wie sie das neuhumanistische Gymnasium des 19. Jahr-
hunderts beherrschten, gebrochen und in den letzten Lehrplänen die ver-
änderte Zielsetzung durchgeführt, die bereits 1892, wenn auch weniger
<lar und entschieden, angebahnt worden war. Freilich hat sie die alten
Formen, in denen der Sprachunterricht sich zu bewegen pflegte, ge-
schont, sie hat dieselben nur eingeschränkt, nicht weggeräumt, und es
wäre vielleicht eine schnellere praktische Durchführung der neuen
sesichtspunkte erreicht, wenn sie in ihren methodischen Vorschriften
radikaler vorgegangen wäre. Immerhin hat sie darüber keinen
Zweifel gelassen, daß sie auch die überlieferten Formen neuen Ge-
sichtspunkten dienstbar machen will. Diese Gesichtspunkte aber sind
so notwendig und entschieden in der Gesamtentwicklung unserer
deutschen Bildung und in dem veränderten Bedürfnisse der Gegen-
wart begründet, daß sie sich zweifellos durchsetzen werden, auch in
dem Schulwesen derjenigen Staaten, die sich ihnen heute noch ver-
schließen.
Das erste und wesentliche Kennzeichen dieses neuen Geistes ist,
daß der lateinische Unterricht das alte Ideal der formalen Bildung,
welches grammatisch-logisches Verständnis und rhetorisches Können als
Selbstzweck ansah, aufgegeben hat. Zwar eine gründlich grammatische
Schulung fordern die Lehrpläne auch jetzt noch, aber dieselbe erscheint
wesentlich, wenn nicht ausschließlich als Mittel, um zu einem sicheren
Verständnis der Schriftstellerlektüre zu gelangen. Nach Umfang und
Methode wird der Betrieb der Grammatik hierdurch bestimmt und
beschränkt. Die Auswahl an Vokabeln und grammatischen Regeln
wird überall durch das Bedürfnis der Lektüre begrenzt; sie soll auf
das wichtigste, „daß heißt auf das häufig vorkommende und charakteris-
nische“ beschränkt werden, und es ist eine sorgfältige Scheidung vor-
geschrieben zwischen dem, was der Schüler sich zu festem Besitze an-
eignen und dem, was ihm nur gelegentlich bei der Lektüre erklärt
werden soll. Der Gesamtumfang des grammatischen und des rheto-
isch-stilistischen Pensums an dem heutigen humanistischen Gym-
hasium geht nicht wesentlich über das hinaus, was nach der Bonitz-
schen Schulordnung in den 80er Jahren das Realgymnasium zu leisten
hatte, und zwischen dem Lehrziele der beiden Anstalten erscheint