Full text: Die höheren Lehranstalten und das Mädchenschulwesen im Deutschen Reich (2. Band)

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Das Mädchenschulwesen, 
zreifen, dann aber auch, weil die geistigen Ansprüche der Frau mit 
ihren Aufgaben in Haus und Familie durch die wirtschaftlich-sozialen 
Veränderungen allgemein so gewachsen sind, daß sie eine weiter 
reichende und tiefer wurzelnde Bildung verlangt, als ihr bisher ge- 
zeben wurde. Eine größere Angleichung der Mädchenbildung an 
die der Knaben ist die praktische Forderung, zu der man von beiden 
Ausgangspunkten gelangte. 
Bei dem ersten Auftauchen dieser Wünsche hat naturgemäß der 
Gedanke der Berufsvorbildung die größere Rolle gespielt. Schon in 
len siebziger und mehr noch in den achtziger Jahren hatten ver- 
schiedene deutsche Frauen im Auslande eine akademische Bildung 
arworben und sich auf Grund der im Auslande bestandenen Examen 
in Deutschland einen Lebensberuf zu schaffen gesucht. Vereinzelt 
waren auch an deutschen Universitäten Frauen als außerordentliche 
Hörerinnen eingeschrieben worden, meist Ausländerinnen, die aber 
durchaus als Ausnahmeerscheinungen galten. Seit nun im Jahre 1886 
ler allgemeine deutsche Frauenverein, die älteste Organisation der 
deutschen Frauenbewegung, durch einen Stipendienfonds in die Lage 
gesetzt worden war, das Frauenstudium praktisch unterstützen zu 
können, und seit im Jahre 1888 ein eigener Verein „Frauenverein 
Reform“ für die Erschließung der auf wissenschaftlichem Studium. be- 
ruhenden Berufe für die Frauen eintrat, wurde die Frage des Frauen- 
studiums auch für Deutschland eine dringendere. Beide Vereine wendeten 
sich seit dem Jahre 1888 mehrfach an die Unterrichts-Ministerien und 
Landtage aller Bundesstaaten, sowie an den Reichstag selbst mit der 
Bitte, den Frauen den höheren Lehrberuf und den Ärztinnen- 
beruf zu erschließen und ihnen die Absolvierung des dazu nötigen 
Bildungsganges und der dazu nötigen Prüfungen zu gestatten. Gleich- 
zeitig wurde im Jahre 1889 vom wissenschaftlichen Zentralverein zu 
Berlin eine Anstalt gegründet, die unter dem Titel „Realkurse für 
Frauen“ eine über die höhere Mädchenschule hinausgehende Bildung 
vermittelte, und da in Deutschland die Zulassung zur Maturitäts- 
prüfung noch nicht erfolgt war, sich zunächst die Vorbereitung auf 
das Schweizer Maturitätsexamen zum Ziele setzte. Im Jahre 1893 
verwandelte die Leiterin, Fräulein Helene Lange, die Realkurse ‘in 
Gymnasialkurse, die, auf dem Pensum der höheren Mädchenschule 
aufbauend, ihre Schülerinnen in ca. vier Jahren: auf das deutsche 
Abiturientenexamen vorbereiteten. Ein halbes Jahr später gründete 
der allgemeine deutsche Frauenverein in Leipzig nach demselben Plan 
Gymnasialkurse unter der Leitung von Fräulein Dr. Käthe Wind
	        
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