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Das Mädchenschulwesen.
ainer charakteristischen Beleuchtung aus den Zeitverhältnissen heraus,
hat auch der Geschichtsunterricht. Er soll „durch anschauliche Dar-
stellung klar begrenzter, bedeutungsvoller Begebenheiten und Zu-
stände die Schülerinnen mit kräftigem, persönlichen Interesse erfüllen“
and ihnen für das Verständnis der Geschichte die nötigsten Halt- und
Mittelpunkte geben.
Daneben wird ein starker Nachdruck darauf gelegt, daß im
Gegensatz zu dem vorher vielfach üblichen Verfahren die Gegen-
wart in der Mädchenschule zu ihrem Recht kommt. Die wirt-
schaftlichen und gesellschaftlichen Fragen der Gegenwart sind in der
ersten Klasse zu behandeln. Die Stufenverteilung ist diesem Gesichts-
punkte entsprechend die folgende:
In Klasse IV und V: Lebensbilder aus der vaterländischen Geschichte bis zur
(jegenwart, deutsche Sagen. In Klasse III: Die Haupttatsachen der griechischen und
:ömischen (jeschichte unter Betonung des kulturgeschichtlichen, möglichst durch An-
schauung zu vermittelnden Stoffes, besonders der griechischen Kunst im Perikleischen,
der römischen Kultur im Augusteischen Zeitalter. Römer und (jermanen. In Klasse II:
Deutsche Ceschichte bis zum Westfälischen Frieden mit Hervorhebung der kultur-
geschichtlichen Momente und des deutschen Frauenlebens. In Klasse I: Fortführung
der deutschen Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zur Gegenwart mit wachsender
Hervorhebung der Brandenburg-Preußischen Cieschichte (Friedrich Wilhelm I, die Zeit
Friedrich des Großen, das Zeitalter der französischen Revolution, der napoleonischen
Herrschaft und der Befreiungskriege, die Kämpfe von 1864, 1866, 1870—71, die Einigung
Deutschlands, das neue Reich und seine Entwicklung). Ausblicke auf die Geschichte
Englands, Frankreichs, Italiens, Österreichs und der Vereinigten Staaten.
Für die beiden Fremdsprachen ist folgendes Lehrziel auf-
gestellt:
Der Unterricht in den fremden Sprachen hat die unmittelbare Aufgabe; die
Schülerin zu befähigen, einen leichteren französischen oder englischen Schriftsteller zu
verstehen, gesprochenes Englisch und Französisch richtig aufzufassen, und die fremde
Sprache in den einfachen Formen des täglichen Verkehrs mündlich wie schriftlich ıit
ainiger Gewandtheit zu gebrauchen; er hat die mittelbare Aufgabe, den Schülerinnen «as.
Verständnis für die geistige und materielle Kultur, für Leben und Sitte der beiden fremden
Völker möglichst zu erschließen.
Im Mittelpunkt des Unterrichts steht die Lektüre. Grammatik
wird nicht von vornherein systematisch betrieben, sondern aus der
Lektüre abgeleitet und aus konkreten Beobachtungen allmählich
systematisch aufgebaut. Sprechübungen spielen von Anfang an eine
große Rolle. Die ganze Methode setzt bei dem Lehrer sowohl voll-
kommen gewandte Handhabung der Sprache als auch eine gewisse
ohonetische Schulung und die Fähigkeit voraus, auch aus den Er-
yebnissen der geschichtlichen Sprachforschung praktische Hilfen für
den Unterricht zu ziehen. Für die Beurteilung der schließlichen
Leistungen einer Schülerin ist sehr viel weniger die größere und ge-