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Das Mädchenschulwesen.
In einzelnen Punkten dieses Lehrplanes treten die modernen
Vendenzen und Bestrebungen im Mädchenschulwesen charakteristisch
hervor. So wird in der Religion der Gedächtnisstoff auf das Aller-
notwendigste beschränkt und das mechanische Auswendiglernen
ganzer biblischer Abschnitte entschieden verworfen. In der Kirchen-
geschichte soll auf das Verständnis des in ihr zum Ausdruck
kommenden religiösen Lebens hingearbeitet und es soll neben der
apostolischen Zeit und neben Reformation und Gegenreformation auch
das eingehender behandelt werden, was zur Einführung in die Auf-
gaben und Fragen der Gegenwart dienen kann. Das Lehrziel im
Deutschen ist der sichere und ungezwungene mündliche und schrift-
üche Gebrauch der Muttersprache, Bekanntschaft mit den wertvollsten
Erzeugnissen der deutschen Literatur im Rahmen ihrer Geschichte,
Erziehung zur Teilnahme am deutschen Geistesleben; dementsprechend
wird z. B. im Gegensatz zu den preußischen Bestimmungen von 18%4
im 9. und 10. Schuljahr die deutsche Literaturgeschichte von ihren
Anfängen bis zur Gegenwart zusammenhängend behandelt. Die
Schülerinnen sollen einen Einblick bekommen in die hervorragenden
Erscheinungen und Richtungen der deutschen Literatur und in das
Wirken ihrer Hauptvertreter, aber durchweg unter Beschränkung auf
das wahrhaft Bedeutende und so, daß die Besprechung und das Ver-
ständnis des Gelesenen die Hauptaufgabe bleibt. Es wird besonders
darauf Gewicht gelegt, daß auch die Dichtung des 19, Jahrhunderts
den Schülerinnen in geeigneter Weise nahe gebracht wird. In der
Sprachlehre sollen in der Oberklasse auch Hinweise auf das geschicht-
liche Leben und den Geist der deutschen Sprache gegeben werden.
Im Aufsatz wird besonders darauf hingewiesen, daß, wo eine
persönliche Auffassungs- und Darstellungsweise hervortritt, sie sorg-
ältig zu beachten und zu pflegen sei. Im Französischen entspricht
das Lehrziel den preußischen Bestimmungen und ebenso im Englischen.
Mit Arithmetik und Geometrie geht der Lehrplan der Württem-
bergischen Mädchenschulen über das Ziel der preußischen Be-
stimmungen von 18%4 heraus, indem er in der Arithmetik im neunten
Schuljahre Gleichungen ersten Grades mit einer Unbekannten und
daran anknüpfend Textgleichungen, im 10. Schuljahre Potenzen mit
ganzen Exponenten, Wurzeln, Gleichungen ersten Grades mit einer
und mehreren Unbekannten vorschreibt; in der Geometrie im 9. Schul-
jahre die Lehre von den Strecken und Winkeln, die wichtigsten Sätze
vom Dreieck, Parallelogramm und Trapez, im 10. Schuljahre Kreis-
lehre, Flächeninhalt von Figuren, Ähnlichkeit, das Wichtigste aus der