Zu allererst nach unserer letzten Sitzung erfolgte am 28. Dezember 1904
im Königreich Sachsen die Freigabe des Forstfaches an die Oberrealschul⸗
Abiturienten. Meine Herren, das scheint nicht allzuviel zu bedeuten, denn
Sachsen hat keine Oberrealschulen. Es hat aber insofern sehr viel zu bedeuten,
als zum erstenmal in einem Bundesstaat, der noch dazu keine Oberrealschulen
hat, in einem neuen Erlaß gesagt wird: Es werden zugelassen zum Forstfach
die Abiturienten eines deutschen Gymnasiums, eines deutschen Realgymnasiums
und einer deutschen Oberrealschule. Sie wissen, daß es in dem
Erlaß betreffend die Freigabe der Jurisprudenz an die preußischen Real—
abiturienten heißt: Es werden zugelassen Realgymnasial-Abiturienten und
Abiturienten preußischer Oberrealschulen und der durch besondere Ver—
einbarung den preußischen gleichgestellten Oberrealschulen. Es mußte also
immer noch eine Vereinbarung getroffen werden, und hier zum erstenmal in
diesem Erlaß für die Satzungen und die Studienprüfungs- und Disgziplinar—
Ordnung der Königlich Sächsischen Forstakademie zu Tharandt kommt die
Oberrealschule als ein gemeinsam für Deutschland geltender Begriff vor; das
ist ein freudig zu begrüßender Fortschritt.
Meine Herren, das nächste war die volle Freigabe der Jurisprudenz in
Elsaß-Lothringen durch Verfügung des Statthalters vom 10. Januar
1905. Die Freigabe tritt uns hier in etwas anderer Form entgegen als in
Preußen. Es wird nämlich im Reichsland kein Vorkurs oder Nachkurs im
Lateinischen von den Realgymnasial-Abiturienten verlangt, sondern es heißt
wörtlich so:
„Den Sludierenden der Rechtswissenschaft, welche das Reifezeugnis
einer Oberrealschule besitzen oder in ihrem von einem Gymnasium oder
Realgymnasium ausgestellten Reifezeugnis für das Fach des Lateinischen
nicht unbedingt genügende Kenntnisse bezeugt erhalten haben, bleibt es
hdei eigener Verantwortung überlassen, sich die zu gründlichem Ver—
tändnis der Quellen des römischen Rechts erforderlichen sprachlichen und
'achlichen Vorkenntnisse zu erwerben. Sie haben den Besitz derselben
iach näherer Bestimmung des Ministeriums durch eine Sonderprüfung
aiachzuweisen.“
Also nur der Realgymnasiast, der „Ungenügend“ in Latein hat, aber
auch der Gymnasiast, der „Ungenügend“ in Latein hat, ist wie der Oberreal—
schulabiturient verpflichtet, eine Nachprüfung im Lateinischen abzulegen. Diese
Nachprüfung findet vor einer besonderen Kommission statt. Die erste derartige
Sonderprüfung ist neulich abgehalten worden, und zwar hat sich ihr der
Abiturient eines humanistischen Gymnasiums unterzogen, der „Ungenügend“ in
datein hatte.
Die Kommission hat bestanden aus dem Vorsitzenden und einem Mit—
gliede des Oberschulrats und aus einem Ministerialrat, der Jurist war. Ob
der Betreffende die Prüfung bestanden hat, ist nicht gesagt, aber wir wollen
es hoffen. Diese Einrichtung ist eine sehr passende. Es liegt keine Herab—
setzung für die Oberrealschul-Abiturienten darin, daß sie nachweisen müssen,
daß sie im Latein die nötigen Kenntnisse haben; denn daß Latein für das
uristische Studium erforderlich ist, ist selbstverständlich.