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Diesem Erlaß ist gleichzeitig eine neue Prüfungsordnung für die höheren
Schulen von Elsaß-Lothringen beigefügt.
Diese Prüfungsordnung ist ausgezeichnet durch zwei Sachen; erstens
daß nur der zugelassen wird, der nicht bloß sich gut betragen hat, sondern
der besonders auch in der Religion ein befriedigendes Zeugnis hat, zweitens
durch die große Freiheit, die der Prüsungskommission in der Entscheidung über
die Reife gegeben ist.
Es heißt wörtlich so:
„Die Prüfung ist als bestanden zu erachten, wenn das auf die
Prüfungs- und die Klassenleistungen gegründete Gesamturteil in keinem
Prüfungsgegenstande „nicht genügend“ lautet. Eine Abweichung
hiervon in Berücksichtigung des von dem Schüler gewählten Berufs
st nicht zulässig.
Der Prüfungskommission steht es zu, nach pflichtmäßigem Ermessen
zu entscheiden, ob und inwieweit sie „nicht genügende“ Leistungen
in einem Prüfungsgegenstande durch die Leistungen des Schülers in
einem anderen Prüfungsgegenstande als ausgeglichen erachtet.“
Wenn also ein Abiturient „Ungenügend“ in einem Fach hat, so braucht
er zum Ausgleich nicht ein „Gut“ in einem anderen Fache, sondern hat in
anderen Fächern nur ein über „Genügend“ hinausgehendes Wissen nachzuweisen,
um doch für reif erklärt werden zu können. Das ist eine außerordentlich
angenehme Weite für die Entschließungen der Prüfungskommission, und ent⸗
spricht auch ungefähr der Kompensations-Bestimmung, welche sich in 8 6 der
Dresdener Konvention befindet; dort heißt es: Das Zurückbleiben in einem
Gegenstande kann „durch desto befriedigendere“ Leistungen in einem anderen
Gegenstande gedeckt werden. Auch hier ist nicht gesagt, daß gerade das Prä—
dikat „Gut“ in dem anderen Gegenstande erreicht sein muß.
Meine Herren, nach diesem freudigen Ereignis in Elsaß-Lothringen trat
dann zunächst in Sachsen die Freigabe der Jurisprudenz an die Realgymnasien
durch Verfügung vom 26. April 19085 ein, leider mit dem Zusatz, daß die
Realgymnasials Abiturienten, welche Jurisprudenz studieren wollen, das Prädikat
„Gut“ im Lateinischen haben müssen. Unsere Freunde in Sachsen waren
zunächst hoch erfreut, daß ihnen soviel gewährt ward, und wenn man bedenkt,
welche Kämpfe sie zu bestehen hatten, und welche Gegner sie fanden im Ab—
geordnetenhaus und im Herrenhaus, so kann man ihre Freude verstehen. Aber
ich muß sagen, ich finde die Zulassungsbestimmungen außerordentlich herbe.
Die sächsischen Realgymnasiasten haben zwar im den beiden obersten Klassen
je zwei Stunden fakultatives Supplementlatein; und man könnte einfach sagen,
sie können ja die beiden Supplement-Stunden im Latein mitnehmen und so
„Gut“ bekommen; Sachsen verlegt damit gleichsam die Kurse, die in Preußen
auf der Universität stattfinden, auf die Prima. Wenn nun aber einer trotz
der Teilnahme an den Supplementstunden die Note „Gut“ nicht bekommt, und
wenn einer, der diese Supplementstunden nicht mitgenommen hat und nur mit
„Genügend“ im Latein die Prüfung besteht, dennoch Jura studieren will, was
dann? Dann muß er die ganze Gymnasial-Ergänzungsprüfung nachmachen.
Es ist in der Verfügung vom 26. April 1905 ausdrücklich gesagt: Inhaber