KLASSIZISTEN
DD: Kunstgeschichten machen in der Regel dort, wo der Barock
zu Ende geht, einen tiefen Einschnitt. Sie betrachten die alte
Kunst dort als abgeschlossen. Mit dem Klassizismus lassen sie eine
neue Ära, die der modernen bürgerlichen Kunst, beginnen. Es gibt
gute Gründe, so zu verfahren, weil damals wirklich etwas grund-
sätzlich Neues im Leben der Kunst vor sich gegangen ist, weil der
Barock der letzte aus vollem Lebensgefühl fließende Stil war, und
weil mit dem Klassizismus eine aus der Reflektion geborene Kunst
ihren Gang durch das Abendland antrat. Nicht als ob griechisch
und italienisch abgeleitete Formen nicht schon vorher von der deut-
schen Kunst verarbeitet worden wären. Die romanische Kunst hatte
es bereits getan und noch offensichtlicher die deutsche Renaissance
and der Barock. In allen Fällen aber handelte es sich um ein leben-
diges Umgestalten, um eine organische Neugeburt; das Griechische
oder Italienische war in der deutschen Kunst nur, was im Kind das
ganz individualisierte Erbgut ist. Der Klassizismus wollte anderes.
Er wollte grundsätzlich Griechisches wörtlich ins Deutsche über-
tragen. Und eben diese Absicht war künstlerisch etwas ganz Neues.
Ebenso gute Gründe gibt es, den Klassizismus noch in der Ver-
bindung mit dem Barock zu behandeln, und in ihm den gesetz-
mäßigen Abschluß einer tausendjährigen Bautätigkeit zu sehen.
Hierfür spricht, daß es sich um eine Stilphase handelt, die geschicht-
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