MEISTER DER GOTISCHEN BAUHÜTTEN
Got denen, die geschichtliche Ereignisse nüchtern kausal zu
erklären versuchen — ein Bemühen, das sich empfiehlt, weil die
konstruktiven Kräfte der Geschichte nur um so lebendiger zur An-
schauung kommen —, wird die Entstehung der Gotik ein Geheim-
nis bleiben. Es ist unmöglich, auf einen bestimmten Punkt hin-
zuweisen und zu sagen: hier endigt der romanische, hier beginnt
der gotische Stil; beide Stile mischen vielmehr ihre Formen so, daß
von einem „Übergangsstil‘ gesprochen wird. Auf dem Boden dieses
Übergangsstils sind sogar die größten Gestaltungen der deutschen
Skulptur gewachsen. Dennoch ist die Gotik etwas ganz anderes als
die Romanik, sie ist etwas Neues und Primäres, sie ist eine der
wenigen ursprünglichen, nicht abgeleiteten Stilschöpfungen in der
Universalgeschichte der Kunst, sie kommt vom Romanischen her
und hat doch damit im tiefsten wenig zu tun. Bequem wäre es, die
Gotik den Barock des romanischen-Stils zu nennen; um so mehr als
viele Züge vorhanden sind, die charakteristisch barock anmuten —
barock in dem weiteren Sinne, wie das Wort auf bestimmte Formen-
welten aller Zeiten und Länder anzuwenden ist. Diese Erklärung
würde jedoch nicht ausreichen. Auch dann nicht, wenn berück-
sichtigt wird, daß eine Grundtatsache des gotischen Bausystems be-
reits gegeben war, als in der romanischen Basilika das Kreuzgewölbe
und auch schon der flache Spitzbogen aufkam, als infolgedessen die
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