Full text: Deutsche Baumeister als Beauftragte ihrer Zeit

J 
5 
Flächenleben, für Form, Maß und Verhältnis ist den Bauenden so ganz 
abhanden gekommen, daß ein Architekt, dem nur noch ein schwacher 
Nachklang des Melodiösen gelungen war, schon als Meister angestaunt 
wurde. Was im Barock, ja noch zur Zeit des Klassizismus jeder Maurer- 
meister gekonnt hatte, das blieb jetzt in einer geheimnisvollen Weise den 
auf Hochschulen wissenschaftlich gründlich ausgebildeten Architekten ver- 
sagt. Die Menschheit war fast über Nacht unmusikalisch im räumlichen 
Empfinden geworden. Vor großen Bauwerken der Vergangenheit ist das 
Gleichnis geprägt worden, Baukunst sei gefrorene Musik. Überträgt man 
es auf moderne Großstadtarchitektur, so ließe sich von gefrorenem Lärm 
sprechen, in den sich hin und wieder ein paar schöne Klänge verirrt haben. 
Um Ersatz zu schaffen für das Verlorengegangene, verfiel die Zeit auf 
Häufung, sie erstrebte das Massenhafte und setzte an die Stelle der Quali- 
tät die Quantität. Alles Bauen, das repräsentativ prahlende und das formlos 
nützliche, war erfüllt von rohem Materialismus. 
Im Mittelalter ist das Bauen in seiner höchsten Form sakral gewesen; in 
der Barockzeit ist es weltlicher geworden, ist aber autoritär geblieben. Hier 
und dort wurden unabweisbare Bedürfnisse ins Geistige und ins Meta- 
physische erhoben. Dieses verklärte und verklärende Bedürfnis fand legi- 
time Vertreter in Bauherren, die Herrscher waren und eine Macht reprä- 
sentierten. Die Arbeit war Dienst: Gottesdienst oder Herrendienst, in 
jedem Fall war sie Dienst an einer Idee. Die Baumeister verherrlichten die 
Kirche oder den Staat wie im Auftrage der Zeit, — sie folgten einem 
kategorischen Imperativ. Nun läßt sich freilich sagen, die moderne Groß- 
stadtarchitektur hätte ebenfalls gedient. Sie hat aber weder dem Sakralen 
noch der Staatsautorität, sie hat in keiner Weise einer Idee von gleichnis- 
hafter Kraft gedient. Sie diente entweder nackter materieller Nützlichkeit 
oder bourgeoiser Großmannssucht; ihr Bauherr war nicht der Priester, 
nicht der Fürst, nicht die Gemeinschaft, sondern ein Abstraktum: die 
selbstherrlich gewordene Geldmacht. Es ist ein seltsames Phänomen der 
Geschichte, daß in dem Augenblick, als die Baukunst künstlerisch versagte, 
die Bautätigkeit in.der Großstadt ins Ungeheure gesteigert wurde. Auch 
läßt sich nicht ohne Bewunderung von der materiellen, wirtschaftlichen 
und technischen Arbeitsleistung, von der Organisation der Bauerfahrung 
sprechen. Demgegenüber steht die Einsicht, daß diese umfangreiche Tätig- 
2
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.