V. Der Tragflügel von endlicher Breite.
ohne daß deshalb der Flüssigkeitsraum selbst Wirbel zu enthalten
oraucht. Aber auch diese Zirkulationsströmung mußten wir zunächst in
Kauf nehmen, ohne uns über ihre Herkunft Gedanken machen zu können.
Denken wir uns nun den Querschnitt unseres Flügels sehr klein, so
können wir uns den Flügel mit der ihn umgebenden Zirkulationsströmung
als Achse eines Wirbelfadens (vgl. S. 16) denken. Wir müssen uns nur
vorstellen, daß sich dieser Faden nicht frei im Raume bewegen kann,
sondern gezwungen wird, immer gerade die Lage einzunehmen, die der
Flügel im Augenblick besitzt. Wir wollen uns weiter denken, daß der
Flügel selbst gar nicht mehr vorhanden ist und an seine Stelle der
Wirbelfaden getreten ist. Dieser Faden, der gleichsam den Flügel trägt,
d. h. die Veranlassung zum Auftrieb für den Flügel ist, nennen wir einen
tragenden Faden, und da er dauernd an einen bestimmten Ort
gebunden ist, einen gebundenen Wirbelfaden.
Wir haben dann einen Flüssigkeitsraum, in welchem sich ein Wirbel-
laden befindet, welcher gezwungen ist, in jedem Augenblick eine vor-
zeschriebene Lage einzunehmen. .
Wenn aber jetzt, wie es doch in Wirklichkeit der Fall ist, der Flügel
von endlicher Breite ist, und wenn wir trotzdem an der Zirkulations-
strömung festhalten, so müßten wir uns nun denken, daß der tragende
Faden an dem einen Ende des Flügels anfängt und am anderen aufhört,
Das aber widerspricht den Helmholtzschen Wirbelsätzen durchaus
(II $4). Wir müssen alsp annehmen, daß der Wirbelfaden über die
Flügelenden hinausgreift, und daß die beiden Teile entweder ins Unend-
liche weitergehen oder an den Grenzen des Luftraumes, d.h. am Erd-
boden, enden. Dieser Gedankengang ist zuerst von Lanchester in
seiner berühmten Aerodynamik! (s. 148 der deutschen Übersetzung)
durchgeführt worden. Bei ihm hat der tragende Faden die Gestalt eines
Halbringes, der in der Mitte das Flugzeug trägt, auf der Flugrichtung
senkrecht steht, und beiderseits auf dem Erdboden endigt.
Wir wollen aber mit Prandtl? annehmen, daß die Geschwindigkeit
in der Zirkulation des tragenden Fadens klein ist gegen die Geschwindig-
keit des Luftstromes v„, so daß die beiden Fäden, welche an den beiden
Flügelenden beginnen und die Fortsetzung des Flügelwirbels sind, sofort
vom Luftstrom erfaßt und nach hinten weitergetragen werden. So
gelangen wir zur Vorstellung eines gebundenen Wirbelfadens und den
von seinen Enden abgehenden freien Wirbelfäden.
Wir werden sehen, daß man mit dieser Vorstellung eines tragenden
Fadens von konstanter Zirkulation nicht überall auskommt. Sie wird
uns aber doch bei mancher Gelegenheit gute Dienste leisten.
1 Lanchester, Erschienen im Jahre 1907; in deutscher Übersetzung von
Runge. Teubner 1909.
? Vgl. etwa die Darstellung von Betz; Einführung in die Theorie des Flug-
zeugtraogflügels. Naturwiss. 1918 H. 38 und 39.