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Einleitung. Quellen aerodynamischer Erkenntnis
Die Theorie hat auch hier, wie in jedem praktisch orientierten Gebiet, die Haupt-
aufgabe, Versuche zu ersparen durch rechte Ausnutzung und Klarstellung der
Tragweite der fertigen Versuche, durch Richtlinien für neue Versuche und durch
sichere Rechnung an Stellen, wo der Versuch unmöglich ist. ‚Versuche ersparen“
heißt in der Flugtechnik mehr wie in anderen Gebieten; da handelt es sich nicht nur
um Kosten, sondern auch um Menschenleben; denn in allen Fragen des richtigen
Ausgleichs und der Stabilität gibt es ja keine anderen Versuche als den Flug, und
noch dazu ist ein einzelner Flug unter ganz ungestörten Verhältnissen gar nicht
immer maßgebend für die Sicherheit. Das Ziel der praktisch gerichteten Theorie
muß es sein, Prinzipien aufzustellen und Vorschriften zu geben, nach denen schon
in der Konstruktionszeichnung die Leistungsfähigkeit und Sicherheit eines Flug-
zeugs einigermaßen beurteilt werden kann, oder aus denen wenigstens die Richt-
linien zur Verbesserung eines fertigen Flugzeugs entnommen werden können, wenn
daran unbefriedigende Verhältnisse beobachtet worden sind.
Die Aufgabe, eine Erklärung der Luftkräfte zu geben, ist eine hydro-
dynamische, das Problem der Bewegung eines festen Körpers in einer inkompres-
siblen Flüssigkeit. Dies ist bekanntlich eines der schwersten und ungeklärtesten
der Mechanik überhaupt, und gerade seiner großen Bedeutung für die Flugtechnik
ist es in erster Linie zu danken, daß man der Lösung in den letzten Jahren in engem
Anschluß an die Modellversuche nähergekommen ist. Der eingeschlagene Weg ist
für die Hydrodynamik charakteristisch. Die: Kleinheit der Reibungskräfte im
allg&meinen legt ‘es nahe, daß man die unüberwindlich schweren Differential-
gleichungen der reibenden Flüssigkeiten durch die einfacheren der reibungslosen
ersetzt. Die Lösungen dieser Gleichungen sind aber nicht eindeutig, sondern werden
dies erst durch die weitere Annahme der Wirbellosigkeit. In dieser Gestalt jedoch
führen sie zu Lösungen, welche mit der Erfahrung nicht im Einklang stehen;
andererseits können Wirbel nur unter Einfluß der vernachlässigten Reibung ent-
stehen. Man sucht nun erstens Lösungen der Gleichungen ohne Reibungsglieder,
d. i. Strömungen reibungsloser Flüssigkeiten, mit solchen Wirbeln darin, daß die
Luftkräfte in Übereinstimmung mit der Erfahrung herausgerechnet werden können,
zweitens benutzt man die Gleichungen mit Reibungsgliedern, um zu zeigen, daß
gerade diese charakteristischen Wirbelerscheinungen an Stellen, wo die Reibung
nicht klein bleibt, nämlich am festen Körper entstehen. Der erste Teil dieser Auf-
gabe ist heute schon sehr weitgehend gelöst; der Auftrieb ist quantitativ auch in
nicht einfachen Fällen (endliche Tragfläche, Mehrdecker) klargestellt, der Wider-
stand in den einfachsten Fällen; die Bearbeitung des zweiten Teils ist über die
Ansätze und das allgemeine physikalische Verständnis noch wenig hinausgekommen
und noch keineswegs bis zur quantitativen Durchdringung gediehen.
Primitiver sind die Hilfsmittel der Theorie, welche sich mit der Bewegung
des Flugzeugs befaßt und welche rein praktische Ziele verfolgt. Hier werden
die Luftkräfte so eingesetzt, wie der Versuch sie liefert, entweder in rein empirischer
Abhängigkeit voneinander und von den geometrischen Verhältnissen oder an-
genähert durch einfache Beziehungen. Die hydrodynamischen Fragen scheiden
dabei ganz aus; und es bleibt nur das Flugzeug als starrer Körper unter dem Kin-
fluß bestimmter gegebener Kräfte zu betrachten. Für die Konstruktion häupt-