Komplizierte Natur stofflicher Reizung. 45
und der Reizwirkung‘“. MvcH: „Die größte Macht der Umwelt wäre nichts,
wenn sie nicht auf einen Apparat stieße, der den Reiz empfangen und, was
das Wichtigste ist, ihn selbsttätig verarbeiten kann.‘ „Selbst ein Anti-
toxin nimmt der Körper nicht wie ein fertiges Schwert hin.“ Reizwirkungen
treten auf in Form von Tropismen bei Pflanzen, als Taxien und Sinnes-
reize bei freibeweglichen Tieren, mit Reizanlaß, Reizrezeption und Reiz-
leitung, individuelle Zuordnung zum Effekt aufweisend, auf dem Boden
einer gedächtnismäßig:n „„Retention‘“, deren Daucr mit der Organisations-
höhe zunimmt, und damit einer „historischen Reaktionsbasis‘“ stehend.
Der durch „Reiz und Bedingungen‘ bestimmte Zustand im Organismus,
„der sich unmittelbar in die Endreaktion entlädt‘“ und regulative Funktion
oder Handlung zur Folge hat, bei höheren Tieren unter Vermittlung des
Nervensystems (als „harmonisch-äquipotentiales System“‘), wird als „Im-
puls‘* bezeichnet, und der Impuls wird zum „Willenserlebnis‘‘, wenn Be-
wußtsein hinzukommt. „Stets wird das Ganze des Impulses durch die
Ganzheit der Ausführung verwirklicht, bei ungeheurer Variationsmöglich-
keit der Ausführungswege‘“ (DrRIıEScH, Die Maschine und der Organismus,
1935). Dabei betont SCHADE, daß Reiz nicht etwas .‚spezifisch Vitales‘“
sei; „jedes dynamische System, welches potentielle Energie enthält, ist
prinzipiell reizbar‘, also auch eine katalysierbare Reaktion, die gleichfalls
kein bestimmtes energetisches Verhältnis von Ursache und Wirkung
aufweist. Eine sinnvoll selektive ‚„Reizverwertung‘‘ (samt bewahrten
„Engrammen“‘) bleibt indes dem Organismus vorbehalten.
Eine besondere Stellung nehmen die länger anhaltenden Reize ein, auf
die man in der Regel erst bei unerwartetem Wechsel aufmerksam wird,
und die als Summenreize im Lamarckismus in der Richtung einer unmittel-
baren Entwicklungsbestimmung eine so große Rolle spielen®, Wie groß
die Wirkung solcher Reize sein kann, haben z. B. die veränderten Blatt-
formen gezeigt, die GOEBEL mit einem Kupfersulfatgehalt erhielt, und noch
mehr Versuche von Hersst über die Einwirkung der Salze des Meerwassers
auf Seeigaleier, wobei er durch Zusatz von Lithiumsalzen zum Meerwasser
jene durch ihre Sonderbarkeit berühmten Lithiumlarven mit ihrem total
veränderten Habitus erhielt (Z. Zool. 4892). Ähnlich hat J. LogB bei
Veränderung der äquilibrierten Lösung des Meerwassers (die mit ihrem
Verhältnis 100 Na: 2K : 2 Ca in Organ- und Blutflüssigkeit der Organismen
wiederkehrt), je nach dem Sinn der Änderung, ein abnormes Zusammen-
gehen oder Auseinanderfallen der Zellen beobachtet (Ca-Ion dient all-
gemein der Festigung der Zellwände). Selbst wenn solche Veränderungen
sich ausnahmslos auf den Phänotypus beschränken und nie durch Ver-
erbung, d.h. über eine Affektion der Gene in den Genotypus übergehen
sollten, geben doch jene Versuchsresultate eine Vorstellung davon, was
chemische Reizungen vermögen, die dazu, zumal wenn Lithium in jenem
Falle kein wesentlicher Bestandteil der Körpermasse geworden ist, man
doch etwa ihrer Anfangsstufe nach als der Katalyse verdächtig anzusprechen
kaum umhin können wird,
Daß Reize äußerer und hormonaler Art immer „nach ihrem
energetischen Äquivalent zu bewerten‘ seien (GURWITSCH, Ver-