Besonderheit katalytischer Kausalität. 57
kaum ohne weiteres die linke Seite als Ursache, die rechte als
Wirkung bezeichnen wird, obwohl das logische Recht dazu durch-
aus besteht, wie ersichtlich wird, sobald man die Gleichung in
die konditionale Sprachform überführt: Wenn Natrium und Chlor
zusammenkommen, so entsteht Chlornatrium. Wie wenig eine
Einschränkung des Ursachenbegriffs auf Gleichheitsbeziehungen
dem intellektuellen Bedürfnis einer kategorialen Ordnung der
Dinge entspricht, geht daraus hervor, daß die Erhaltungsgesetze
ja nur die Form und das Schema wiedergeben, worin sich die
Mannigfaltigkeit des Geschehens vollzieht, und daß den Menschen
in 99 von 100 Fällen gerade die anscheinenden Ungleichheits-
beziehungen viel mehr angehen als „Antworten auf Fragen, die
kein Mensch stellt“ (WınTERSTEIN). Hier handelt es sich darum,
daß „gleichsam von der Seite herkommend“‘“, quantitativ un-
bedeutend aussehende energetische und stoffliche Momente ent-
scheidend in den Fluß des Geschehens eingreifen, indem sie aus-
lösend, induzierend. oder „katalysierend‘“‘ wirken (s. S. 17). So
wird man denn bei der chemischen Gleichung
N, + 3Ho(-+k ) = 2NH; + 21,9 Cal, (bzw. 25,4 Cal;og)
kaum die „Selbstverständlichkeit‘“ betonen, daß die „Affinität“
(das „Vereinigungsstreben‘‘) von Stickstoff und Wasserstoff die
„eigentliche‘‘, d.h. thermodynamisch bestimmende Ursache der
Ammoniakbildung (mit gleichzeitig entwickelter Reaktionswärme)
ist, sondern der Chemiker wird es fast immer vorziehen, das kleine
unscheinbare k& — d.h. das katalysierende Eisen — als die die
Reaktion wirklich herbeiführende unmittelbare Ursache des Ge-
schehens zu bezeichnen, nach Analogie mit dem gleichfalls Energien
umsetzenden und dabei richtenden menschlichen Willen, der in
der Handlung als dem Urbild der Kausalität dauernd zutage
tritt59
Dabei ist von Bedeutung, daß „Chemismus‘* nicht in dem Maße wie
der „Mechanismus‘“ das Merkmal des Starrgesetzlichen und Festgebundenen
besitzt, das in seiner begrifflichen Übersteigerung zur mechanistischen
Weltanschauung geführt hat. Der Chemismus — und gar der Kolloid-
chemismus — mit seinem (in Abwesenheit von Katalysatoren) oft zögernden
und abwartenden Wesen läßt viel Raum und gibt viel Freiheiten, die vom
Katalysator (und von dem, was jene regiert) weidlich ausgenutzt werden.
Während also in einem mechanischen System strenge Bindungen herrschen
— ein freiliegender Körper, dessen Unterlage weggenommen wird, kann
nicht anders als in bestimmter Weise zu Boden fallen —, sind für ein