52 Am Freiballon.
nichts merken, als den veränderten Luftdrud am Trommelfell;
es iſt dasjelbe Gefühl, als wenn man beim Baden Waſſer in die
Ohren bekommen hat und es nun herausſchütteln möchte. Sowie
der Ballon wieder im Gleichgewicht iſt, hört das Gefühl von ſelber
auf. So ſteigen wir bis 4680 Meter empor, haben alſoin wenigen
Minuten etwadie Gipfelhböbe des Mont Blanc
erreicht, und es koſtet keinerlei Mühe. Aur eine wohltuende
Faulheit ergreift uns. Man möchte nur genießen, nicht mehr
ſprechen, denn man hat den Eindru>, daß man dann lallen würde.
Ein jeder fißt auf ſeinem Korbſtühlchen, das heruntergeklappt ift,
und ſchaut träumend auf die fchöne Gotteswelt nieder. Einer der
Mitfahrer, der gut Karten leſen kann, hat die Orientierung über-
nommen und ſtellt jezt Richtung und Geſchwindigkeit feſt. Er ſieht
durch das Glas über den Korbrand lotrecht in die Tiefe, bis wir gerade
über einen deutlich markierten Geländepunkt kommen: ein Dorf oder
eine Waldede oder eine Flußſchlinge. Den verfolgt er einige Minuten
lang und vifiert ihn über den Kompaß an. Nun weiß er, aus welcher
Richtung wir kommen, alſo auch, wohin wir fahren, und ſiehe da,
wir fliegen nah Süd-Süd-MWeft, genau wie vorausgeſagt. Dann
merkt fich der Beobachter nach einer Weile einen andern Gelände-
punkt, den wir überfliegen, mißt die Entfernung zwiſchen beiden
auf der Karte, vergleicht ſie mit der zur Burüdlegung der Strede
benugten Zeit und trägt ſtolz in das Bordbuch ein: 120 Kilo-
meter Gefbhwindigfeit in der Stunde!
Das macht unſeren Füngſten und Längſten mobil, der unter
den irdiſchen Menſchen zur Gattung des canis finis (feiner Hund)
gehört. Er ift auf einen ſubtilen Gedanken gekommen. Er greift
fich ans Rinn, wie der alte Bieten auf dem Wilhelmsplaße zu Berlin,
der ſich bekanntlich fragt: „Ob id mir wohl rafiere?“ Das Kinn
iſt rauh, es kraßt. Schon kommt das NRafierzeug zum Vorſchein,
Spieglein, Spieglein an die Wand, und aus den Tiefen des Korbes
wird eine der bauchigen Flaſchen geholt, die reines Waſſer enthält.
Sie wird entkorkt, gibt aber keinen Tropfen her. Natürlich, das Waſſer
iſt ja zu Eis gefroren! Wie kalt es in diefer Höhe iſt, merkt man nur
gar nicht, weil man in für das Gefühl abſoluter Windſtille hängt,
und weil die Strahlungswärme der Sonne ſo wirkt, daß es überhaupt
nur im Schatten — im Korbe, wo unſere Füße wohlverpackt ſtehen —
kalt iſt. Nnſere Mäntel haben wir längſt abgelegt, denn die Sonne