Full text: Intoxicationen, Zoonosen und Syphilis (2. Band, 1. Abtheilung)

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Definition der Gifte, 5 
mittel gerade so wie die Gifte zu den Substanzen gehören, welche durch 
die chemische Natur ihrer Molekule und durch ihre Molekularkräfte sich 
wirksam zeigen. Mögen sich nun auch die Nahrungsmittel von den Giften 
dadurch unterscheiden, dass letztere Funktionsstörungen veranlassen und 
dem Leben Abbruch thun, während die ersteren meistens das Leben för- 
dern und wohlthuend wirken, so tritt doch dieser Unterschied keineswegs 
immer deutlich hervor. Im Gegentheil gibt es der Fälle genug, in wel- 
chen man darüber völlig im Unklaren bleibt, ob ein eingetrelenes Unwohl- 
sein die Folge eines genossenen Nahrungsmittels, oder die Folge eines mit 
dem Nahrungsmittel einverleibten und von demselben maskirten Gifies ist. Soll 
aber verhütet werden, dass die Nahrungsmittel, auch da, wo sie durch 
die chemische Natur ihrer Molekule und die denselben immanenten Kräfte, 
Unwohlsein oder Krankheit erzeugen, nicht zu den Giften gezählt werden 
sollen, so ist es dringend geboten, die den Nahrungsmittelbegriff consti- 
tuirenden Merkmale gleichsam mit dem Zeichen der Negation unter die 
Merkmale des Giftbegriffs zu bringen. Bei solcher Vorsorge kann es dann 
niemals geschehen, dass z. B. ein reiner Mehlbrei als Gift prädicirt wird, 
weil durch denselben vielleicht ein Säugling in schweres Leiden versetzt 
wurde. 
$. 8. Was unter den Giftbegriff gesetzt werden soll, muss dem S.4 
zufolge unter bestimmten Bedingungen die Form und Mischungsverhält- 
nisse der organischen Theile mehr oder weniger alteriren. Dieses Merk- 
mal stellt sich in jeder Beziehung als ein wesentliches der Gifte heraus. 
Schon weil die Gifte zu den chemischen Agentien gehören, müssen ihre 
Wirkungen von Bedingungen abhängig sein und weil die Gifte durch die 
Natur ihrer Molekule und die denselben immanenten Kräfte sich wirksam 
erweisen, müssen dieselben im Conflikte mit dem Thierkörper die Misch- 
ungsverhältnisse und in der Regel auch die Formverhältnisse desselben 
verändern. Und weil die Gifte mit andern Molekulen und mit andern Mo- 
lekularkräften, als die Nahrungsmittel in den Thierkörper eingreifen, so ist 
es auch nothwendig, dass sie die durch die normale Ernährung gesetzten 
Verhältnisse der Mischung und Form der organischen Theile alteriren. 
Und in der That lässt sich diese durch die Gifte veranlasste Alteration 
der Form- und Mischungsverhältnisse des Thierkörpers meistens recht 
augenfällig nachweisen, und wo sie, wie bei einigen Nervengiften noch 
nicht zur vollen Evidenz gebracht wurde, da lässt sich mit voller Bestimmt- 
heit erwarten, dass die Zukunft die wünschenswerthe Autopsie nachlie- 
fern wird. 
$. 9. Was unter den Begriff Gift subsumirt werden soll, muss dem 
$. 4 zufolge endlich auch unter Veranlassung grösserer oder geringerer 
Funktionsstörung, grösserer oder geringerer Desiruktion der Organe, oder 
gar des Todes, der Gesundheit oder dem Leben in merklicher Weise Ab- 
bruch thun. Wie man finden wird, ist dieses letzte Merkmal die reine 
Consequenz der alterirenden Wirkung der Gifte. Denn wenn es erwiesen 
ist, dass der Bestand wohl constituirter Organe, normaler Funktionen des 
Lebens und der Gesundheit unveräusserlich an den Bestand normaler 
Verhältnisse der Form und Mischung des Thierkörpers geknüpft ist, so 
muss es auch einleuchten, dass die Funktionen des Organismus um so 
mehr gestört, die Organe um so mehr destruirt und die Gesundheit und 
das Leben um so mehr bedroht werden müssen, je tiefer und ausgebrei- 
teter die Alleration ist, welche die Gifte in den Form- und Mischungsver- 
hältnissen des Körpers verursachen. 
 
	        
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